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Beck, Paul [Editor]; Hofele, Engelbert [Editor]; Diözese Rottenburg [Editor]
Diözesan-Archiv von Schwaben: Organ für Geschichte, Altertumskunde, Kunst und Kultur der Diözese Rottenburg und der angrenzenden Gebiete — 9.1892

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Beck, Paul A.: Die frühere Kloster- und jetzige Pfarrkirche zu Schussenried
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https://doi.org/10.11588/diglit.15867#0102

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bloß vier Fensteröffnungen. Der alte Altarstein und das
Glöcklein wurden nach dem Abbruch in dem damaligen Rent-
amt aufbewahrt, sind aber längst verschwunden; die hölzerne
auf dem Altar gestandene Veitsstatue, im Volksmunde bloß
das „Veitle" genannt, wurde an der Außenseite eines Nach-
barhauses angebracht; leider wurde der alte, wenn auch kleine,
so doch interessante Bau vor dem Abbruch keiner eingehenden
sachkundigen Untersuchung nach Steinmetz- und anderen Denk-'
Zeichen mehr unterworfen.
Die (neue) „zur Ehre Gottes, der hl. Jungfrau Maria
und des Bekenners St. Magnus (im folgenden Jahrhundert
auch des hl. Augustinus)" erbaute Pfarr- bezw. Kloster-
kirche war indes nicht von langer Dauer und wurde bald
darauf schon zu Ende des 12. Jahrhunderts samt dem Klöster-
lein durch die Wartemberger H zum Teil verbrannt und dar-
auf vorerst bloß notdürftig ansgebessert, im Jahre 1229 aber
durch den thatkräftigen Propst Konrad II., den Regenerator
des Klosters, neu aufgebaut, ohne daß man über diesen Neu-
bau — insbesondere über dessen Stil u. s. w. — etwas
Näheres wüßte oder eine Abbildung davon besäße. Abt Hein-
rich Oesterreich er unternahm dann nach über 250 Jahren
im Jahre 1493 — laut seinem mit dieser Jahrszahl am
Sanktuarium außen au der Kirche eiugemauerten (kleinen)
Wappen, d. i. einem über einem grünen Dreiberg ausgehen-
den goldenen Sterne — sowie in den folgenden Jahren einen
durchgreifenden Um- oder besser gesagt Neubau, welcher leider
den 16. (alias 13., auch 19.) Januar 1647 durch die Schwe-
den bis auf die Grundmauern und znm Chor abgebrannt, in
den Jahren 1647—1652 neu aufgeführt und nach und nach
wieder ausgeschmückt wurde. Auf dem Rathause zu Schussen-
ried hängt noch eine in Oel gemalte, perspektivisch zwar
weniger gute, aber sonst treue Ansicht von der Kirche, dem
Kloster und dem Ort Schussenried nebst Umgebung aus der
Zeit vor dem Schwedenkrieg, etwa aus dem Jahre 1600.
Auch besitzt der Verfasser eine Kopie in Federzeichnung von
Kirche und Kloster aus dieser Zeit. — Die außen jetzt stil-
lose Kirche war ursprünglich im gotischen Baustile errichtet
mit einem großen kühn gewölbten Langhause mit jetzt sehr
unschönen Oberlichtern und zwei Nebenschifsen (mit Netz-
gewölben); sic steht gegen Sonnenaufgang und ist ungefähr
50 m lang, 20 m breit, 14 m hoch, im Innern hauptsäch-
lich durch die acht mächtigen, lästigen Säulen auf jeder Seite,
(runde Arkaden ans hohen Pfeilern mit Pilastern) und auch
infolge von Ueberladung nicht Helle und etwas düster. Der
das Langhaus überragende Chor hat Polygonen Abschluß mit
Streben, ein Stichkappengewöibe, ist nicht lang und ge-
hört vielleicht der frühesten Zeit der Kirche an, erfährt aber
durch das seit Klosterszeiten beträchtlich in das Mittelschiff
hinausgeschobene Chvrgestühl, d. h. dadurch, daß die zwei
letzten Traveen des Mittelschiffes noch zum Chor gezogen und
von den Chorstühlen eingenommen wurden, eine fingierte Ver-
längerung; an und für sich läuft das Langhaus unmittelbar
in den Chor über. Das beide Teile trennende Chorgitter
(Lettner) wurde im Jahre 1818 entfernt; der zwischen Chor
und Mittelschiff gestandene sogenannte „Kreuzaltar" war schon
im Jahre 1807 abgebrochen worden; auch die Seitenschiffe
reichen bis zum Chor. An dessen Nordseite ist der ca. 55 m
hohe schlanke und weithin sichtbare, seiner Zeit unter Abt
M. Rohrer in den Jahren 1625—1629 errichtete und
mit 32 Zentner Kupfer eingedeckte Turm mit obligater
9 Siehe die obengenannte Festschrift S. 8 sowie „Die Wartemberg-
schen Wirren im Kloster Schussenried" vom Verfasser dieses in dieser
Zeitschrift 3. Jahrgang 1886, Nr. 1 und 2, S. 7 und 8, 18—15.

„Zwiebelkuppel" eingebaut, welcher eine durch Jos. Linder aus
Ravensburg im Jahre 1750 verfertigte Uhr und fünf Glocken
trägt, wovon die größte 43 Zentner und 47 Pfund wiegt.
Das Geläute war schön und harmonisch, litt aber später unter
einer zersprungenen und auch sonst nicht mit den andern har-
monierenden Glocke. Das Alter der einzelnen Glocken ver-
mögen wir nicht anzugeben; wir glauben aber nicht, daß eine
Glocke noch aus der Zeit vor dem 30jährigen Kriege vor-
handen ist. Im Jahre 1702 und dann wieder im Juni des
Jahres 1743 wurde der Kirchturm mit Sturz bedeckt und
mit einem in Feuer vergoldeten Knopf, welcher „16 Viertel
Vesen faßte", nebst einem 6 Zentner schweren Kreuz geziert,
nachdem das alte Holzwerk abgedeckt und ein neues aufgesetzt
worden war. Der Spengler Joseph.aus Weissen-
horn, so den Turm gedeckt, soll zu oberst an das Kreuz hiu-
anfgeklettert sein und des gnädigen Herrn sowie des ganzen
Konvents Gesundheit hoch oben getrunken, sodann das Glas
in. den Klostergarten hinabgeworfen haben und letzteres dabei
nicht zerbrochen sein. Aus dieser Zeit wird wohl die Schindel-
oder Zwiebelkuppel — so genannt, weil damals viele Kirch-
türme in Süddeutschland mit roten Schindeln, in Zwiebel- i
Form und -Farbe statt mit dem teuren Kupfer gedeckt wurden i
— herrühren?! Im Jahre 1840 wurden anläßlich einer i
Renovation Kreuz und Knopf wieder abgenommeu und wieder ^
aufgesetzt; noch fand im letzten Jahrzehnt wieder eine Reno-
vation des Turmes statt. — An den Glockenturm war durch
den baulustigen Prälat Oesterericher. eine um das Ende des
17. Jahrhunderts aus unbekannten Gründen wieder nieder-
gelegte Kapelle zu St. Christoph eingebaut. Die Sakristei
befindet sich auf der Südseite; an dieselbe stieß früher das
nachmals zur Kapitelkirche (auch Kapitelhaus) benützte 16 Schuh
hohe, 25 Schuh breite, 24 Schuh lange, im Jahre l 838 abge-
brochene (zu vergl. darüber die erwähnte Festschrift S. 75)
Frauenkirchlein mit 4 laugen Kreuzstöcken (ehemalige Wallfahrts-
kirche, später auch „Hofkapelle" genannt), uni und an welches
bis 1610 der Gottesacker angelegt war, in welchem Jahre
letzterer infolge einer pestartigen Krankheit vor das Dorf hin-
haus nach dem hiezu eigens angelegten St. Martin verlegt
wurde. In diesem Frauenkirchlei» stand schon von alten
Zeiten her ein wunderthätiges, vielverehrtes Muttergottesbild,
für welches im Jahre 1483 von Rom aus ein großer Ablaß
erwirkt wurde. Im Anschluß daran wurde im Jahre 1487
eine bis zur Klosteraufhebung noch bestandene „marianische
Bruderschaft- unser lieben Frauen Kapell zu Schussenriedt"
errichtet und am 30. Januar durch den Konstanzer Bischof Graf
O. v. Sonnenberg unter Verleihung eines 40tägigen Ablasses
konfirmiert, welche in kurzer Zeit zu großem Ansehen gelaugte
und immer noch größere Privilegien, so unter anderen im
Jahre 1501 einen 200tägigen Ablaß erhielt. Wohin das
Gnadenbild später, entweder schon vor oder nach dem Abbruch
des Frauenkirchleinö, gekommen ist, hat sich bis jetzt nicht er-
heben lassen; vielleicht ist dasselbe .mit der auf dem Vorzeichen- ,
altar befindlichen Pieta identisch?H Der in der Kapitelskirchc)
— , . - )
Z Diese uralte Wallfahrt „zur Muttergottes in denn Frauenkirche
lein zu Schussenried" ist jetzt unter dein Volke vergessen. — Gewalt-
fnhrtet wird nach Schussenried noch zu dem oder dem Brauhaus an dem
Scheideweg nach St. Martin und Kleinwinaden errichteten Oelberg,
namentlich in der Karwoche. Aach das alljährlich anfangs September
abgehaltene uralte „Mngnusfcst" (bezw. „Mangenfest"), eine Art lokale»
Volksfestes, zieht immer noch von jeher sehr zahlreiche Wallfahrer, ins-
besondere aus den ehemaligen Klosterocten an, welche namentlich viel
auf das an diesem Tage geweihte „Magnnswasser" halten. Ganz un-
richtig ist die Bemerkung VogtS in seiner Arbeit aber „Seb. Sailer als
Gelegenheitsprcdiger" lchD. Volksbl." v. >879, Nr. 27 vom 2. Febr.),
 
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