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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0047
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für Mlitniit liniilt, Bnuhmtfl ttnb

Kunstgewrrbe.

Unter Mitwirkung von

Kunstblatt.

Drgan

der Kunstvereine von

Deutschland.

Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Düsseldorf — Schnaase

in Berlin — Förster in München — Eitelbergcr v. Edelbcrg in Wien.

Lrdigirt VW /. Eggers in Mrlill.

JM 3. Donnerstag, den 1. Februar. 1833.

Inhalt: Ein Tagebuch von Jos. Ant. Koch. (Mitgetheilt von E. Förster.) — Das Fenster der Orliki'schen Kapelle der Donnnikanerkirche zu Krakau von
I. Hübner in Dresden. (Hierzu ein Kupferstich.) — Das Neue Museum zu Dresden. W. Lübke. (Schluß.) — Zeitung. Berlin. Wien. Brüssel. —
Kunstvereine. Ausstellungen des Thüringer Kunstvereins im Jahre 1855. — Verbindung deutscher Kunstvereine für historische Kunst. — Briefwechsel.

Ein Tagebuch van Jos. Aut. Koch.

(Mitgetheilt von E. Förster.)

In der Bibliothek der Kunstschule zu Stuttgart wird ein Tage-
buch von dem berühmten Landschaftsmaler Jos. Ant. Koch auf-
bewahrt, geführt auf einer achttägigen Reise von Stuttgart nach
dem Rheinfall und zurück nach der hohen Carlsschule, deren Zög-
ling er war. Das Jahr ist nicht angegeben; doch scheint die Reise
in der letzten Zeit von Koch's Aufenthalt in der Anstalt stattgefunden
zu haben, deren für ihn unerträglich gewordenen Druck er sich be-
kanntlich (im I. 1792) durch die Flucht entzog.

Das Tagebuch dieser Reise, welche in die letzten April- und
ersten Maitage fällt, ist reichlich mit Federzeichnungen ausgestattet,
Reisescenen, Landschaften, auch allegorischen Darstellungen. Die
ersten sieben und die letzten zwei (oder drei) Blätter sind verloren
gegangen, desgleichen mehre Zeichnungen; darunter das Titelblatt:
Koch als Mercurius, von der Minerva und der Malerei begleitet.
Das Verzeichniß aber sämmtlicher Zeichnungen ist erhalten und
daraus ersieht man, daß die Reise von der Carlsschule, die als der
grotteske oder „geschnürgelte" Olymp bezeichnet ist, über Reutlingen,
Neckarthalsingen, Urach, Cglingen nach Kloster Zwiefalten ging,
dessen Mönche als die Repräsentanten von Andächtelei und Ignoranz
austreten, umgeben von blutigen, hölzernen Heilskreuzen, geschmack-
losen Asceten- und Marterbildern (z. B. „wie dem fünften Prä-
laten des Klosters die Gedärme aus dem Leibe gehaspelt werden")
und voll Ketzerversolgungseifer. Von da wird die Reise nach Ried-
lingen, dem Heiligenberg und nach Salmannsweil fortgesetzt. In
diesem vom Lichte der Neuzeit bereits erhellten Kloster, wo Koch mit
seinem Reisegefährten Roos, ebenso wie vorher in Zwiefalten,
gastliche Aufnahme gefunden, wird gerade das Geburtsfest des Prä-
laten mit einem großen Gastmahl gefeiert; und an dieser Stelle
tritt das Tagebuch ein. Es ist eine überaus zahlreiche Gesellschaft
im großen, prachtvoll erleuchteten Saale beisammen und die Tafel
weiß nichts von dem Gelübde der Enthaltsamkeit. Erzählungen von
der französischen Revolution, von der „Freiheits-Maskerade" in

VI. Jahrgang.

Stuttgart würzen das Mahl und in fast ungemessener Weise wird
dem Bacchus geopfert.

Den folgenden Tag, 29. April, werden die Reisenden durch
schlechtes Wetter und vielleicht auch wohl durch Küche und Keller
im Kloster festgehalten. Sie besehen die große „gothische" Kirche,
wo es keine „Henkergeschichten" giebt, wie in Zwiefalten, und „wo
man also nicht nöthig hat, vor Schrecken den Rücken zu kehren"
und besuchen den Bildhauer des Klosters, Namens Wieland, der
sie aber mit seinen äußerst rohen, von allem achtem Kunstgeist weit
entfernten Arbeiten lebhaft an die hohe Carlsschule und ihre Kunst-
vorschriften erinnert. „Es ist mir immer ekelhast anzusehen, schreibt
Koch, wie diese Gattung Menschen das vorzügliche Verdienst ihrer
Kunst blos in die Faustfertigkeit ohne alle Kenntniß und Grundsätze
setzt. Solche Thorheiten erinnern mich mit Schmerzen an den viel-
fach geschnürgelten Olymp und an den fernhinsauenden Foibos
Apollon, welcher noch viel ärgerer Dummheiten sich rühmen darf."
Mit Letzterem ist der Lehrer der Malerei an der Karlsschule ge-
meint, wie aus einer gleichfalls in der Kunstschule zu Stuttgart auf-
bewahrten Zeichnung zur Genüge erhellt. In der Bibliothek finden
die Reisenden nicht nur Kupferstiche nach Rafael und Poussin, son-
dern auch philosophische Schriften. „Hier sind alle Bücher erlaubt,
während in Zwiefalten die neue Philosophie zur Hölle verdammt wird."

Am 30. April verlassen die Reisenden das Kloster. Wie sie
nach Uhldingen am Bodensee kommen, finden sie das ganze Dorf
menschenleer, selbst das Wirthshaus wie ausgestorben. Nur eine alte
Kranke im Bett ist da, um Auskunft zu geben, daß sämmtliche Ein-
wohnerschaft, Alt und Jung, einen Bittgang gemacht nach einem
nahegelegenen Gnadenort. Die Reisenden gehen deshalb vor das
Dorf an den See und warten, bis sie die lange Prozession „gebet-
kauend" herankommen sehen. Eine Zeichnung, aus welcher eine
Schaar der dem h. Martin gewidmeten Vögel der Prozession im
travestirenden Gänsemarsch aus dem Wege geht, versinnlicht die
Scene und des Künstlers Gedanken. Mit Entzücken aber schreibt
Koch von der Ansicht von Mörsburg „ganz wie für Poussin ge-
schaffen, während Vernet für seinen Pinsel volle Nahrung auf dem
See gefunden haben würde."

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