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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0085
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Drgan

der Kunstiiereine von

Dcotschland.

Zettschrift

für bildende Kunst, Daukunst und

Knnstgcwerbc.

Unter Mitwirkung von

Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegwann in Düsseldorf — Schnaase

in Berlin — Förster in München — Eitelberger v. Edelberg in Wien.

Lrdigirt m /. Eggers in AÄiu.

M. 9. Donnerstag, den 1. März. 1853.

Inhalt: Der Bauplatz für die Votivkirche in Wien. — Milton, seinen Töchtern das Gedicht vom verlornen Paradiese dikürend. Oelgemälde von Julius
Schräder. F. E. — Die Restauration des Tuskischen Tempels. G. Semper. (Hierzu eine artistische Beilage.) — Zeitung. Berlin. Rheine. Darmstadt.
München. Zürich. Bremen. Amsterdam. — Kunstvereine. Verbindung deutscher Kunstvereine für historische Kunst. — Berichtigung. — Briefwechsel.

Der Dauplah für die Wtivkirche in Wien.

Je großartiger — je fürstlicher, wie Joh. Georg Müller sagen
würde — Gelegenheiten sind, welche umfangreiche und hervorragende
Werke der Kunst Hervorrufen, in desto weitern Kreisen werden sie
natürlich Gegenstand des allgemeinen Interesses. So ist Deutsch-
land längst gewohnt geworden, auf das Ludwig'sche Zeitalter in
München wie aus eine dem Gesammtvaterlande angehörige Blüthe-
zeit stolz zu sein. Die österreichischen Kunstbestrebungen beginnen
eine allgemeinere Aufmerksamkeit in Anspruch zu nehmen. Insbeson-
dere dürste jetzt der Bau der Votivkirche mit im Vordergründe stehen.
Wir unsererseits haben nicht zu den Letzten gehört, welche diesen
Bau als eine Angelegenheit der deutschen Kunst betrachteten. Möge
es daher uns, die wir den Fortgang dieses Unternehmens mit auf-
merksamem und theilnehmendem Auge beobachten, erlaubt sein, uns
heute über den gewählten Bauplatz, als über den Gegenstand der
Tagesordnung in dieser Sache, auszusprechen.

Die Stadt Wien ist bekanntlich, mit Ausnahme der Donau-
seite, an ihren äußersten Grenzen mit einem Linienwalle umgeben.
Der Bauplatz, der — wie wir vernehmen — für die Votivkirche
bestimmt ist, liegt am äußersten Ende der sogenannten Belvedere-
linie an einem Orte, der rings umher nur von Gärten (dem bota-
nischen, dem Belvedere- und Schwarzenberg-Garten) umschlossen
wird. Der Punkt ist ein ziemlich erhöhter, die ganze Gegend be-
herrschender. In der nächsten Nachbarschaft würde sich nur eine
Reihe größerer Gebäude befinden, nämlich das Arsenal, der Ra aber
und Gloggnitzer Bahnhof vor dem Linienwalle, und innerhalb der
Linie vorerst das Belvedere.

Gegen diesen Bauplatz haben sich, wie wir hören, alle Behör-
den ausgesprochen. Unseres Wissens wurde er nur deshalb beliebt,
weil der Grund Eigenthum der kaiserlichen Familie ist. Hören wir,
welche Einwände man gegen ihn geltend gemacht hat.

Zunächst fürchtet man, und wie uns bedünken will nicht mit
Unrecht, daß ein gothischer Bau — in diesem Style soll bekannt-
lich die Votivkirche errichtet werden —, umgeben von den massen-

VI. Jahrgang.

haften Eisenbahnbauten, dem kolossalen modernen Arsenal, dem Bel-
vedereschloß, einem Prachtwerke aus der Zeit Eugens von Savoyen,
eine schlechte Figur machen wird. Ohne Zweifel muß hier eine
störende Disharmonie entstehen; die Gothik hat etwas so Exklusives,
daß nur in geistesverwandten Umgebungen ein in diesem Styl aus-
geführter Ban zur vollen Wirkung kommt, jedenfalls aber durch die
Nähe massenhafter, mehr dem Horizontalprinzip folgender Werke in
seinem Charakter, seiner Erscheinung beeinträchtigt wird.

Aber wir gehen noch einen Schritt weiter! Hat denn Wien
einen solchen Reichthum an Prachtbauten, daß es gleichgültig sein
kann, ob durch ungeschickte Bauanlagen die Wirkung der vorhandenen
verkümmert, ja aufgehoben wird? Mit Vergnügen erinnern wir uns
des Belvedereschlosses; wie er jetzt daliegt in seiner Jsolirnng ist
dieser Rokokobau sehr ansprechend, und, was wir besonders zu be-
achten bitten, er begränzt recht schön den Horizont. Wir brauchen
wohl kaum zu fragen, wie das werden wird, wenn ihm der gothische
Bau dicht an den Leib rückt! Das Auge wird so entgegengesetzte
Wirkungen nicht zu vereinigen wissen; es wird sich verletzt abwen-
den; die beiden Bauten werden einander gegenseitig gleichsam negiren.

Oder möchte man etwa ein neues Beispiel jener Geschmacks-
sünden liefern, an denen unsere Zeit nur schon zu reich ist? Wo
hier ein griechischer Portikus, dort ein römischer Pilasterbau, und
dicht daneben wieder eine schlanke gothische Kirche sich erhebt, so
daß man dem Auge zumuthet, sich mit dem Verschiedenartigsten zu
gleicher Zeit zu befreunden, und den ohnehin schwachen Blick sür
architektonische Schönheit immer mehr abstumpft? Wir können das
kaum glauben.

Die Gegend des Bauplatzes liegt ziemlich hoch, ist von allen
Seiten den heftigsten Windströmungen ausgesetzt. Es müßten also
in dieser Beziehung besondere Vorkehrungen getroffen werden. Nun
haben zwar auch die alten Meister sich nicht gescheut, an solchen
Punkten, wenn es die Nothwendigkeit mit sich brachte, ihre Werke
aufzuführen. Wer wird aber ohne Noth mit einem gothischen
Prachtbau, in dessen Wesen es liegt, daß er mit seinen Thürmen
und Fialen frei und luftig durchbrochen sich erhebe, gerade die un-
günstigste, den Stürmen am meisten ausgesetzte Stelle anfsuchen?

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