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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0133
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Deutsches

Zeitschrift

für bildende Kunst, Baukunst und

Kunjlgcnicrbr.

Kunstblatt.

Lrgau

der Kunstvereine von

Deutschland.

Unter Mitwirkung von

Kugler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Düsseldorf — Schnaase

in Berlin — Förster in München — Eitelberger v. Edelberg in Wien.

Migiri odh /. Eggers in Lrrlin.

M 14.

Donnerstag, den 5. April.

1833.

Inhalt: Grundzüge der deutschen Ornamentik. Von A. von Eye. (Schluß.) — Die heilige Rose. (Mit einem Facsimile nach L. Cranach.) Julius
Hühner. — Knnstliteratnr. Geschichte der bildenden Künste. Bon vr. Carl Schnaase. Von W. Lübke. (Schluß.) — Zeitung. Berlin. Wien.
München. Köln.

Literatur - Blatt Nr. 7. Deminrgos. (Schluß.) — Plattdeutsche Dichtungen.

Grundzüge der deutschen Ornamentik.

Von A. von Eye.

(Schluß.)

Eine scharfe Gränzscheide zwischen der romanischen und gothi-
schen Epoche läßt sich in der Ornamentik so wenig als in der ei-
gentlichen Kunst feftstellen. Und doch findet sich ein so wesentlicher
Unterschied, daß die frühere eines Vorzuges entbehrt, der eigentlich
erst den Charakter der späteren ausmacht.

In der altgermanischen und auch noch in der romanischen Zeit
sind die Verzierungen den Gegenständen von außen angeheftet; sie
wachsen noch nicht mit organischer Triebkraft und innerer Nothwen-
digkeit daraus hervor. Die Ornamentik ist noch getrennt von der
Kunst, unabhängig und unbedingt durch die im Wesen des Kunst-
werkes liegenden Gesetze. Sie überspinnt und bekleidet nur das
Kunstwerk; ziert es noch nicht, als nothwendig aus dessen eigener
Kraft und Natur hervorsprießende Blüthe. Mäßig und säst schüch-
tern wendet die älteste germanische Kunstweise ihre 'Mittel der Ver-
schönerung an. Sie besteht, wie angedentet, zuerst nur in Bezeichnung
der Gränzscheiden zwischen den einzelnen Theilen des geschmückten
Gegenstandes. Auch nur allmälig geht der bezeichnende Charakter
des Ornaments in einen verzierenden über, bis endlich in überhand-
nehmender Kraftentwickelung dasselbe sich des ganzen Gegenstandes
bemächtigt und denselben überdeckt. Zahlreiche Denkmäler aus der
letzten Zeit des Heidenthums und des beginnenden Christenthums
geben hierfür Belege. — Auch die Kunst der romanischen Periode,
namentlich die Baukunst, bot nur Formen, die mit Schmuck belegt
werden, aus denen dieser sich aber nicht wohl natürlich und selbst-
ständig entwickeln konnte. Die glatten Wände gewährten zwar Raum,
um mit Frieskränzen u. dgl. bezogen zu werden, bargen aber keine
innere Fruchtbarkeit für 'den Trieb lebendiger Gewächse. Das Wür-
felkapitäl, um nur noch dieses zu erwähnen, findet sich zwar zu
allerlei Masken und anderen Figuren ausgearbeitet, die heraus-
schauen, doch die Willkür und Laune des Künstlers, der nicht sowohl
das Kapitäl schmückte, sondern nur andere, oft ganz unpassende We-

VI. Jahrgang.

sen an dessen Stelle unterschob, ist leicht in jedem einzelnen Falle
zu bezeichnen.

Ganz anders gestaltet sich die Sache in der gothischen Periode.
Kunst und Ornamentik sind, ohne ihre selbständige Bedeutung zu
verlieren, so innig mit einander verbunden, daß jene in dieser erst
ihre völlige Entwicklung und diese in jener die Natur und Noth-
wendigkeit ihrer Formen findet. Während in der früheren Epoche
die Verzierung noch manchen schmucklosen Raum übrig ließ, vermag
man jetzt kaum zu bestimmen, wo die Kunst aufhört und die Orna-
mentik .beginnt. Mit jener entspringt diese und fast gleichzeitig aus
denselben Wurzeln und diese entfaltet sich mit jener in aufsteigender
Stufenfolge zur höchsten Vollendung und Blüthe. Vergegenwärtigen
wir uns z. B. den Eindruck eines gothischen Domes. Eine un-
berechenbare Macht entwächst der Erde, aber sogleich, wie sie her-
vortritt, beginnt sie weiter zu wachsen, sich zu gestalten und zu bilden.
Da ist nirgends starre Ruhe. Alles ringt empor und entfaltet sich;
die schwere Masse verschwindet allmälig, Form und Geist tritt mehr
und mehr in's Dasein. Nichts ist bloß da, um Anderem Raum zu
gewähren; Alles hat selbst Bedeutung und nimmt Theil an dem
Leben, welches das Ganze ahnungsvoll durchhaucht. Und dieses
Leben, wie es sich mehr und mehr von der Erde entfernt, bekundet
sich in immer schöneren, zarteren Formen und erhebt sich endlich
mit dem Bilde der Lilie, dem Gleichnisse der reinen, fleckenlosen
Seele zu jenen Regionen, wo nach unseren Begriffen das Dasein
selbst sein höchster Schmuck ist. — Und als weiteres Zeugniß einer
zur Meisterschaft gediehenen Kunst erreicht die gothische Ornamentik
ihren Zweck mit den geringsten Mitteln. All' jene abenteuerlichen
Gestalten und Ungestalten, welche die frühere Verzierungskunst auf-
geboten hatte, um sich genug zu thun, sind bei Seite gelassen. Eine
einfache Naturform, ein wenig Ast- und Laubwerk genügt, um die
mächtigsten Werke zu krönen. Ja, das ganze Werk vereinfacht sich
zu einem einheitlichen, lebendigen Gewächse, welchen Eindruck jedes
einzelne Glied für sich wiederholt.

Der Vergleich des gothischen Pfeilers mit einer Palme kann
als durchaus ungesucht erscheinen und paßt, wegen der symbolischen
Bedeutung dieses Baumes, sehr wohl in einen christlichen Tempel.

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