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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0169
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Krrgler in Berlin — Passavant in Frankfurt — Waagen in Berlin — Wiegmann in Düsseldorf — Schnaase

in Berlin — Förster in München — Eitelberger v. Edelberg in Wien.

Lrdigirt m /. Eggers in Berlin.

1855.

Inhalt: Maria mit dem Leichnam Christi. Marmorgruppe von Ernst Rietschel. — Die Kirche zu Wertheim und ihre Grabmäler. C. Becker.
Uteratur. Kleine Schriften und SMdien zur Kunstgeschichte von Franz Kugler. W. Lübke. (Fortsetzung.) — Peilung. Berlin. Dresden.
Köln. Nürnberg. Salzburg. Amsterdam. — Kunstvernne. Der Kunstverein in Hamburg. — Brieftvechsel. — Concurrenz - Aufforderung.
Literatur-Blatt Nr. 9. Plattdeutsche Dichtungen. — Jugendschriften von Ferdinand Schmidt.

— Kunst-
München

Maria mit dem Leichnam Christi.

v. Marmorgruppe von Ernst Rietschel.

Der Meister Rietschel hat nun das schöne Werk vollendet,
von dem wir der heutigen Nummer eine Abbildung beizulegen das
Vergnügen haben. Es ist in karrarischem Marmor lebensgroß aus-
geführt und für die Friedenskirche in Potsdam bestimmt. Diese
nach einem Plane von Persius unter Oberleitung Stüler's von
Hesse (1845 —1848) gebaute Kirche erhebt sich ganz nahe bei
Sans-Souci und ist mit ihren Umgebungen harmonisch dem Ge-
bäude -Eomplex und den Garten-Anlagen eingefügt, welche den Kö-
niglichen Sommersitz bei Potsdam bilden. Die Kirche ist im Styl
einer altchristlichen Basilika mit freistehendem Glockenthnrm erbaut.
Der Haupteingang hat eine Vorhalle, an welche sich ein von Säu-
lengänzen umgebenes Atrium anschließt. Diese Gänge sind außen
durch eine Mauer abgeschlossen, nach innen aber öffnen sie sich mit
ihren säulengetragenen Rundbögen, und so bringt der Raum das
Gefühl der friedlichen Sammlung und der tiefen Sehnsucht nach
innerer Einkehr hervor, welches uns so gern einzunchmen pflegt, wo
ein Stück grüner Erde, dessen Umhegung ein Stück Himmel mit
abzuschließen scheint, sich an ein ehrwürdiges und geheiligtes Gottes-
haus anschmiegt. Die einsame Lebendigkeit eines Brunnens dient
dazu, jene Gefiihle zu steigern. Aus dem grünen Rasen blüht in
Blumen das Kreuz und der es getragen ladet in Gestalt der be-
rühmten Thorwald'schen Kolossalstatue Alle zur Erwerbung des
inneren Friedens ein. Säulengänge, die sich im Wasser des See's
spiegeln, vermitteln die architektonische Verbindung mit den übrigen
Gebäudegruppen.

In der Umfassungsmauer aber jenes Atriums, welches den
Kirchgänger ausnimmt, eh' er die Vorhalle betritt, wird ein kapellen-
artiger Ausbau gemacht, welcher sein Licht durch hochgelegene, schmale
Seitensenster erhält und nach außen hin halbrund abschließt, gegen
den Vorhof aber geöffnet ist. In diese Kapelle sott das herrliche
Werk Rietschel's hineingestellt werden und der Sommersitz des
Preußischen Königshauses, der schon viel Einziges und Vollendetes

von Schöpfungen bildender Kunst birgt, wird um eins der erhaben-
sten Werke neuer Bildhauerkunst reicher.

Es wird diese Kapelle ein Wallfahrtsort werden für Alle, die
das religiöse Gefühl nicht in nüchterner Abstraktion, sondern in
warmer Lebendigkeit in sich tragen, für Alle ferner, die, von vor-
wiegend künstlerischem Sinne, gewohnt sind, die religiösen Empfin-
dungen aus der Hand der Kunst, die sie so mächtig auszusprechen
versteht, entgegenzunehmen, gleichwie jener stille Tempel hinter den
Taxusbäumen von Charlottenburg, wo ein hohes Königspaar in den
Gebilden von Rauch's Meißel sortlebt, ein Wallfahrtsort geworden
ist für Alle, welche sowohl die Gefiihle der Pietät und der Ver-
ehrung zu den Heimgegangenen, als auch ein offnes Gemüth für die
sittlich bildende Gewalt der Plastik in sich tragen.

Wie viele Herzen wird nicht diese schmerzzerrissene Mutter sest-
halten auf dem Pfad des Sohnes oder dahin zurückwinken, wie viele
stille Gebete und Gelübde, wie viele Keime zu guten Thaten werden
hier nicht entstehen, wo im geweihten Raume der größte, der zu
Stein gewordene und ewige Schmerz redet. Alle innigen und from-
men Empfindungen, die von Kind auf sich in uns mit der Lebens-
und Leidensgeschichte des Erlösers eng verflochten haben, werden
wach gerufen und die große Leidcnsthat des Heilandes tritt auf ein-
mal in ihrer ganzen Tiefe vor unsere Seele und wird uns mensch-
lich nahe gerückt. Was sind alle Thränen der Welt für die Bitter-
keit des Grames in dem Herzen dieser von Gott so hoch erhobenen
und von den Menschen so tief beleidigten Mutter. An diese Gruppe
trete Jeder, der sich läutern will durch den Läuterer Schmerz; denn
hier ist er verewigt in seinen erhabensten, edelsten und einfachsten
Zügen. Und wie gerechtfertigt ist dieser einzige und tiefste Schmerz
durch einen Blick auf den Sohn. Man müßte, minder gottgebe-
nedeit als diese große Mutter, vor Mitleidenschaft vergehen, wenn
nicht die Herrlichkeit des Sohnes über jedes andere Gefühl tröstend
und versöhnend siegte. 'Das ist das Antlitz eines Fürsten der Liebe
und des Friedens, das ist so sehr der Tempel Gottes, daß die gött-
liche Seele, die ihn ausgebaut hat, wohl darin schlummern, aber
niemals sterben kann. Ist sie nicht göttlich, da sie nach fast zwei-
tausend Jahren noch den Stein lebendig machen kann?

an

er Kunstvereine von

Deutschland.

VI. Jahrgang.

18
 
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