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Eggers, Friedrich [Hrsg.]
Deutsches Kunstblatt <Stuttgart>: Zeitschrift für bildende Kunst, Baukunst und Kunsthandwerk ; Organ der deutschen Kunstvereine &. &. — 6.1855

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https://doi.org/10.11588/diglit.1199#0111
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Deutschen Kunstblatt.

M 11. Donnerstag, den 13. März. 1855.

ter Holzschnitte die Schrift erläutern. Sie selbst zerfällt in drei
Abtheilungcn: die erste enthält eine historische Einleitung von I. Feil,
die in sorgfältigster Weise Alles behandelt, was sich auf die Ge-
schichte Schöngraberns und seiner Kirche bezieht. Die zweite gibt
eine architektonische Beschreibung der Kirche und ihrer Bildwerke,
Bemerkungen über die Bauzeit und den Charakter der Skulpturen
und eine Uebersicht der bisherigen Deutungsversuche. Die dritte
endlich ist der Erklärung der Bildwerke gewidmet und erhält durch
mehrere archäologische Exkurse ein noch allgemeineres Interesse.
Angehängt ist ein archäologisches Sachregister.

Schöngrabern ist ein unbedeutender, mehrere Meilen nordwest-
lich von Wien gelegener Ort*), der nur durch seine Kirche die
Aufmerksamkeit auf sich zieht. Aus der ebenso gewissenhaften als
gründlichen „geschichtlichen Einleitung" heben wir fiir unfern Zweck
nur heraus, daß die Zurücksührung der Kirche auf die Tempelherrn
als völlig sagenhaft nachgewiesen wird, und daß über die Zeit ihrer
Erbauung sich Nichts hat ermitteln lassen. Sie gehört indeß ihrer
ganzen Durchführung nach in die Epoche des reich entwickelten
romanischen Sthles. Die erhaltenen alten Theile beschränken sich
auf ein ursprünglich aus zwei Gewölbfeldern bestehendes einschiffiges
Langhaus und den etwas schmaleren Chor sammt kreisförmiger
Nische; die übrigen westlichen Theile sind durch einen charakterlosen
Neubau verdrängt. Der Chor hat seine Kreuzgewölbe mit kräfttg
gebildeten Rippen behalten; die beiden Gewölbe des Schiffes, dessen
ehemalige Eintheilung aus den paarweise angeordneten Fenstern
ersichtlich wird, haben später einem Tonnengewölbe weichen müssen.
Alle Bögen, sowohl an Fenstern und Gewölben wie an den Bogen-
friesen des Aeußeren sind im Halbkreis gebildet; die Ausführung
der Details zeugt von großer Eleganz und einer gewissen Styl-
vollendung. Das Mauerwerk besteht aus sorgfältig gefügten Quadern,
Lisenen und Halbsäulen gliedern die Flächen, drei verschiedene Arten
von Bogenftiesen (vgl. Taf. II.) sammt Gesimsen finden sich an
der Absis und den Seitenflächen, und ein eben so reich als kräftig
profilirter Sockel (siehe den Holzschnitt auf S. 68) umzieht alle
Theile. Alles dies zeugt nicht allein von einer entwickelten Technik
innerhalb eines in seiner höchsten Blüthe stehenden Sthles, sondern
auch von einer gewissen Opulenz, die fteilich noch prunkender an
den Bildwerken der Chornische zu Tage tritt. Die Nische wird
durch Bündelsäulen in drei Felder getheilt, welche wiederum durch
ein Gurtgesimse an Zahl verdoppelt werden. Hier sind nicht allein
Säulenschäfte, Kapitäle, Konsolen reichlich mit plastischer Dekoration
theils in linearen Spielen, theils in vegetativen und animalischen
Gebilden bedeckt, sondern unter den drei Fenstern, so wie über und
neben denselben, also im Ganzen auf sechs Wandfeldern, finden sich
Reliefgruppen Phantasttsch-symbolischer Art angeordnet. In künst-
lerischer Hinsicht würden dieselben eine ausführlich eingehende Be-
trachtung nicht verdienen, da sie einen so hohen Grad von Rohheit

und bildnerischem Ungeschick verrathen, wie er irgend an mittelalter-
lichen Werken gefunden werden mag. In dieser Hinsicht reihen sie
sich den auch anderwärts im südlichen Deutschland und der Schweiz*)
vorkommenden plastischen Leistungen an, deren wilde Sthllosigkeit
mit der meist von großem technischem Geschick und wohlgebildetem
Sthlgefühl zeugenden, rein architektonisch-dekorativen Arbeit in so
befremdender Weise contrastirt. Aber in archäologischer Beziehung
bieten sie einen neuen schätzenswerthen Beitrag zur Kenntniß der
symbolisch-historischen Darstellungen, in welchen das Mittelalter seine
Dogmatik zu predigen liebte.

Zunächst giebt der Verfasser eine anschauliche, mit Holzschnitt-
Abbildungen begleitete Beschreibung der Bildwerke. Sodann wendet
er sich in einem besonderen Abschnitt zu der Frage nach der Er-
bauungszeit der Kirche. Da, wie wir gesehen, die geschichtlichen
Nachrichten darüber schweigen, so bleibt nur der Styl des Gebäudes
als Anhaltspunkt übrig. Um aber diesen festzustellen, schlägt der
Verf. mit richtiger Einsicht den einzig möglichen Weg ein, indem er
eine Untersuchung über die Dauer der romanischen Bauweise in den
österreichischen Ländern vorausschickt. Da wir ihn auch hier durch-
weg im vollen Einklänge mit den Resultaten der neueren Unter-
suchung finden, und da er namentlich weit entfernt ist von jenem
unwissenschaftlichen Gelüst nach Aufstellung abweichender, überraschen-
der kunsthistorischer Offenbarungen, wodurch so manche Forscher
ihren sonst schätzbaren Arbeiten Abbruch gethan haben, so dürfen
wir uns fteuen, mancherlei Nachrichten über mehrere außerhalb
Oesterreichs wenig oder gar nicht gekannte dorttge Bauwerke von
ihm zu erhalten. Bei der chronologischen Feststellung derselben tritt
der Verf. mit einschneidender Krittk gegen die Kritiklosigkeit der be-
kannten Mertens'schen Datirungen auf, welche u. A. für die Kirche
zu Schöngrabern die Jahre 1300 —1309 als Erbauungszeit anzu-
nehmen belieben. Heider weist durch Aufzählung der fest datirten
dortigen Bauwerke nach, daß (S. 95) „bis etwa zum Schluffe des
ersten Drittheils des dreizehnten Jahrhunderts der Romanismus in
der österreichischen Baukunst überwiegend war." Die Uebergangs-
periode macht sich hier weniger in der Anwendung von spitzbogigen
Formen, als vielmehr in der eleganten Führung der Detailprofile,
in dem Streben nach größerer Schlankheit und Anmuth bemerklich.
Die Lilienfelder Kirche vom I. 1210 steht bis jetzt als vereinzeltes
Denkmal der Vermischung spitzbogiger Elemente mit romanischer
Bildungsweise da. Der reine gothische Styl erscheint nach Heider
sicher datirt zuerst auf österreichischem Gebiet an der Kirche des
ehemaligen Nonnenklosters Jmbach bei Krems vom I. 1269—1289;
hieran schließt sich vom I. 1283 die Deutschordenskirche S. Maria
am Leech zu Gratz, und schon 1295 erreicht der neue Styl am
Chor der Abteikirche zu Heiligenkreuz seine schönste Durchbildung.

*) Ich erinnere z. B. an die Kirche zu Rosheim, die Krypta des Domes
zu Freisingen, den Kreuzgang des Münsters zu Zürich, an die Kirchen zu
Payerne, Grandson, Notre Dame de Valere bei Sion u. A.

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*) Vergl. meine Karte der mittelalterlichen Architektur in Deutschland.
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