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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 2.1898

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Unmassgebliche Gedanken für die Pariser Welt-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.6385#0041

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Unmassgebliche Gedanken

Wilhelm Bode, ganz mit Recht immer wieder
nach England und Amerika. Dort gelang
es, die angewandte Kunst so zu entwickeln
und zu nützen, dass sie über das Stadium
der luxuriösen Spielerei und des Kuriositäten-
Sports hinaus zu einem mächtigen, lebendigen
Faktor im Leben des Volkes wurde. Drum
ist es die erste und unabweisliche Pßicht der
nächsten Kunst-Altsstellungen zu München
und zu Dresden, durch die besten und reifsten
Künstler Deutschlands wirkliche Wohnräume
und darin wirkliche Gebrauchs- Geräthe neuen
Stiles vorführen zu lassen. Die Münchencr
Abtheilung für »Kleinkunst« musste mit ge-
ringsten Mitteln improvisirt werden. Das
darf unseren Innen-Architekten nicht wieder
zugemuthet werden, denn es ist schädlich,
weil es zur Erzeugung theuerer, itnor-
ganischerEinzel-Werke und luxuriöser Kurio-
sitäten führt.
Unsre Zeitschrift ging daher nicht darauf
aus, durch Abbildung von allerlei inter-
essantem Kleinzeug ihre Spalten bequem zu
füllen und dadurch die schädliche Auffassung
zu nähren, als ob die angewandte Kunst nur
ein Sport geistreicher Künstler und Halb-
Dilettanten sei, sondern sie drängt nach einer
praktischen, wohnlichen, sicheren, das Ge-
werbe durchaus neu belebenden Kunstübung.
Daraus ergab sich unmittelbar als nächste
Aufgabe die Ermöglichung eines Ueber-
blickes über die Gesammt-Produktion der
Deutschen, um erst einmal feststellen zu
können, was denn das Neue, Eigenartige,
was das alle modernen Deutsche Einende
und sie von den anderen Nationen Scheidende
sei. Damit wird nicht allein die theoretische
Erkenntniss erleichtert, sondern vor allem
auch der kunstliebende Theil der Bevölkerung
mit dem Geiste der heimischen Kunst der
Neuzeit langsam vertraut gemacht. Nur so
scheint den Künstlern der Weg zu ihrem
endgiltigen Berufe geöffnet werden zu können,
der Weg zur ästhetischen Neubelebung des
den heimathlichen und neuzeitlichen Bedürf-
nissen entsprechenden Hauses, der öffent-
lichen Hallen, Fest-Räume, Kaufhäuser,
Schaubühnen, Denkmäler, zum Buchgewerbe,
zu den Liebhaberkünsten, kurzum zu allen
Lebenserscheinungen, die des entscheidenden

Einflusses bedeutender, schöpferisch begabter
Geister nicht entrathen können, wenn sie
nicht in todten Schablonen erstarren sollen.
— Gegenwärtig schreckt der grösste Theil
der Gebildeten vor den neuen Formen zurück.
Wir wollen an ihren Anblick gemach ge-
wöhnen. Allein wir dürfen desshalb nicht
unterlassen, auch die ausländische Produktion
zu verfolgen, nicht nur ihre Formen aus-
wendig zu lernen und dann bequem ge-
legentlich als eigene neue Ideen anzuwenden
- wie es so sehr oft geschieht — sondern
um die grossen prinzipiellen Erfahrungen
der uns vorausgeschrittenen Völker der
eigenen Entwickelung gewissermassen er-
sparen zu können. Solche Völker sind Japan,
Amerika und England; für gewisse kleine
Gebiete auch Norwegen, Dänemark, Holland,*)
Die wichtigste Nutzanwendung, die wir aber
aus der künstlerischen und kunstgewerblichen
Entwickelung dieser Völker ziehen, ist die,
dass sie zu eigenem Stile gelangt nur durch
die bedingungslose Hingabe an die eigenen
heimathlichen, klimatischen, ethischen Bedürf-
nisse, nicht aber durch internationalen Kurio-
sitäten-Austausch. Sicherlich: wir sind »gute
Europäer«. Gerade darum jedoch sträubt
sich unser Geschmack gegen eine inter-
nationale Uniformirung der feinen, schönen
Dinge, der Wohnungen und der Geschmeide.
Unendliche Möglichkeiten der Schönheit
gehen verloren, wenn wir nicht die formende
Gewalt der unendlich verschiedenen Bedürf-
nisse anerkennen itnd frei walten lassen,
ivenn wir nicht die zum Erhabensten endlich
läuternde Kraft einheimischer Ueberlicfcrung
lebendig in uns bewahren.
¥
Die Pariser Welt-Ausstellung, auf der
auch die deutsche angewandte Kunst neuen
Karakters vertreten sein soll, hat somit für
die Entwickelung dieser Kunst selbst nur
einen bedingten Werth. Ein Erfolg wird

*) Die »Deutsche Kunst und Dekoration« hat schon
bei Ausgabe ihres Programms betont, dass sie in diesem
Sinne auch über die ausländische Ktmst refenren werde.
In nächster Zeit, sobald wir einen Ueberblick über die
deutsche Produktion gegeben haben, werden wir auch jener,
das Ausland betr., Aufgabe näher treten — aber im steten
Hinblick auf unsere Kunst und unser deutsches Haus.
 
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