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Hans Schliepmann:
Buch-Titel. hans Christiansen.
für das Dogma von der heiligen Weisse
kämpfte. Die Farbe ist bäurisch, brutal,
verwirrend, kurz — unlogisch, unkünstlerisch.
Die »klassische Ruhe«, die »hoheitvolle
reine Marmorweisse« allein ist »schön«, ist
berechtigt. —
Die »Wissenschaft« hatte sich geirrt, wie
sie sich so oft schon geirrt hat .... das
heisst, wir wollen die grosse, allerdings das
edelste Gut der Menschheit bildende Göttin
Wissenschaft nicht schmähen; nur ihre über-
eifrigen, beschränkten Diener hatten sich
geirrt und deren Gotteshoheit auf ihre
Kärrnerarbeit zu übertragen sich angemasst.
Die »klassische« Kunst war eine farbige,
ja, eine farbentrunkene geradezu gewesen;
die bessere Wissenschaft hat das jetzt fest-
gestellt; aber seit unserem Neoklassizismus
hat das aberwitzige Dogma wie ein giftiger
Bazillus in den Anschauungen des Volkes
gewüthet, alle Farbenfreude verschüchtert
und dem Volke mit dem Popanz, durch
frohe Farben »unfein« zu werden, das Zu-
trauen zum eigenen gesunden Empfinden
verscheucht, und heute noch wieder fangen
die letzten Bastarde unserer gesegneten
Philologenkultur, die durch alle Schulen ge-
gangenen Herren Malermeister, wieder frisch-
fröhlich-frech an, unsere Häuser mit einem
Augenkrankheit erzeugenden krallen weissen
Oelfarbenanstrich zu überschmieren.
Und wieder kam der Herr Philologus
mit Brille und Excerpten und lehrte die
»Kunststile«: A. Antike, u. zw. a. Griechisch,
ß. Römisch, B. Altchristlich, C. Romanisch usw.
hübsch säuberlich bis zum Empire, und
dröselte alle Fädchen des schönen Teppichs
Kunst auseinander: daher ist dies, daher das,
und so wird's gemacht, bis von dem
Teppich vor lauter nachgewiesenen und in
Schächtelchen verpackten Merkzeichen nichts
mehr zu sehen war. Wer nicht die Schächtel-
chen kannte, war nicht »gebildet«, also ein
geschmackloser Mensch; wer aber heraus
hatte, dass der Spitzbogen zur Gothik ge-
höre, der konnte schon über alle Kunst
Buch-Verzierung. HANS CHRISTIANSEN.
Hans Schliepmann:
Buch-Titel. hans Christiansen.
für das Dogma von der heiligen Weisse
kämpfte. Die Farbe ist bäurisch, brutal,
verwirrend, kurz — unlogisch, unkünstlerisch.
Die »klassische Ruhe«, die »hoheitvolle
reine Marmorweisse« allein ist »schön«, ist
berechtigt. —
Die »Wissenschaft« hatte sich geirrt, wie
sie sich so oft schon geirrt hat .... das
heisst, wir wollen die grosse, allerdings das
edelste Gut der Menschheit bildende Göttin
Wissenschaft nicht schmähen; nur ihre über-
eifrigen, beschränkten Diener hatten sich
geirrt und deren Gotteshoheit auf ihre
Kärrnerarbeit zu übertragen sich angemasst.
Die »klassische« Kunst war eine farbige,
ja, eine farbentrunkene geradezu gewesen;
die bessere Wissenschaft hat das jetzt fest-
gestellt; aber seit unserem Neoklassizismus
hat das aberwitzige Dogma wie ein giftiger
Bazillus in den Anschauungen des Volkes
gewüthet, alle Farbenfreude verschüchtert
und dem Volke mit dem Popanz, durch
frohe Farben »unfein« zu werden, das Zu-
trauen zum eigenen gesunden Empfinden
verscheucht, und heute noch wieder fangen
die letzten Bastarde unserer gesegneten
Philologenkultur, die durch alle Schulen ge-
gangenen Herren Malermeister, wieder frisch-
fröhlich-frech an, unsere Häuser mit einem
Augenkrankheit erzeugenden krallen weissen
Oelfarbenanstrich zu überschmieren.
Und wieder kam der Herr Philologus
mit Brille und Excerpten und lehrte die
»Kunststile«: A. Antike, u. zw. a. Griechisch,
ß. Römisch, B. Altchristlich, C. Romanisch usw.
hübsch säuberlich bis zum Empire, und
dröselte alle Fädchen des schönen Teppichs
Kunst auseinander: daher ist dies, daher das,
und so wird's gemacht, bis von dem
Teppich vor lauter nachgewiesenen und in
Schächtelchen verpackten Merkzeichen nichts
mehr zu sehen war. Wer nicht die Schächtel-
chen kannte, war nicht »gebildet«, also ein
geschmackloser Mensch; wer aber heraus
hatte, dass der Spitzbogen zur Gothik ge-
höre, der konnte schon über alle Kunst
Buch-Verzierung. HANS CHRISTIANSEN.