Betrachtungen über den „modernen" Stil.
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verarbeitet alles, was ihm
dekorativ verwendbar er-
scheint. In diesem Punkte
haben wir am meisten
von den Chinesen und
Japanern gelernt, und es
wird nicht mehr lange
dauern, so machen wir
in unserer Art von figür-
lichen Scenen und ganzen
Landschaften bei jeglicher
Art der Dekoration den-
selben ausgedehnten Ge-
brauch wie jene. Die
dazu nothwendige Ver-
arbeitung, Stilisirung ge-
nannt, besteht hauptsäch-
lich darin, dass die ka-
rakteristischen Formen
und Farben des Motivs
hervorgehoben und in eine
gewisse Gesetzmässigkeit
gebracht werden. Die
Räumlichkeit des Vor-
bilds, die Fernwirkung
von I .andschaften muss
beseitigt, alles in Flächen-
ornamente aufgelöst und bewusst auf die
zu ornamentirende Fläche vertheilt werden.
Schliesslich muss die Stilisirung aber auch
in einem unserer Zeit eigenthümlichen Ge-
schmack geschehen, damit wirklich eine De-
koration in modernem Geiste entsteht. Erst
in dem letzten Jahrzehnt ist ein solcher
wirklich der Zeit entsprechender Karakter
in das Ornament eingedrungen, und erst
dadurch ist wirklich ein moderner Stil mög-
lich geworden. Damit ist nicht gemeint,
dass man die Natur in Linien oder Farben
zwingen soll, die ihr zuwider sind, aber es
liegt im Wesen des Stils, dass jede Zeit in
der Natur bestimmte Formen und Farben
gesehen und ihre Lieblingslinien gesucht
hat, die ihrem Geschmack und Zeitgeist
entsprachen. Die Aegypter liebten die eckige
Steifheit, die Antike die Spiralen und S-Linien.
Es lässt sich der stetig steigende Sinn für
Bewegung verfolgen an den gebuckelten
und wulstigen Ornamenten der Gothik, an
den gedrungenen Schnörkeln der Ostasiaten
Plakat-Entwurf.
HANS CHRISTIANSEN.
und den leichten muthwilligen des Rokoko.
Der moderne Stil schliesslich ist der Stil der
äussersten Lebendigkeit und Bewegung, und
seine Linien ziehen sich mit Vorliebe in
langgestreckten Schwingungen dahin. Damit
engverwachsen ist die Freude an ausge-
grägten Richtungen, sodass sich vielfach die
Linien in zahlreichen Gruppen nur wenig
gegeneinander geneigt und nur wenig in
ihrer Form verschieden über die Fläche ver-
breiten. Man erkennt also auch hier, dass
der moderne Stil sich folgerichtig an die
Weltgeschichte der Stilisirung anschliesst.
Von grossem Einfluss auf die moderne
Dekoration ist auch die heutige Maschinen-
technik, denn bei fabrikmässiger Herstellung
irgendwelcher Kunstformen ist es noth-
wendig, diese so zu wählen, dass man die
Empfindung hat: gerade diese Art der De-
koration ist für eine sinngemässe und un-
gekünstelte Herstellungsweise des Gegen-
standes am zweckmässigsten und für die Art
der Technik am natürlichsten. Endlich ist
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verarbeitet alles, was ihm
dekorativ verwendbar er-
scheint. In diesem Punkte
haben wir am meisten
von den Chinesen und
Japanern gelernt, und es
wird nicht mehr lange
dauern, so machen wir
in unserer Art von figür-
lichen Scenen und ganzen
Landschaften bei jeglicher
Art der Dekoration den-
selben ausgedehnten Ge-
brauch wie jene. Die
dazu nothwendige Ver-
arbeitung, Stilisirung ge-
nannt, besteht hauptsäch-
lich darin, dass die ka-
rakteristischen Formen
und Farben des Motivs
hervorgehoben und in eine
gewisse Gesetzmässigkeit
gebracht werden. Die
Räumlichkeit des Vor-
bilds, die Fernwirkung
von I .andschaften muss
beseitigt, alles in Flächen-
ornamente aufgelöst und bewusst auf die
zu ornamentirende Fläche vertheilt werden.
Schliesslich muss die Stilisirung aber auch
in einem unserer Zeit eigenthümlichen Ge-
schmack geschehen, damit wirklich eine De-
koration in modernem Geiste entsteht. Erst
in dem letzten Jahrzehnt ist ein solcher
wirklich der Zeit entsprechender Karakter
in das Ornament eingedrungen, und erst
dadurch ist wirklich ein moderner Stil mög-
lich geworden. Damit ist nicht gemeint,
dass man die Natur in Linien oder Farben
zwingen soll, die ihr zuwider sind, aber es
liegt im Wesen des Stils, dass jede Zeit in
der Natur bestimmte Formen und Farben
gesehen und ihre Lieblingslinien gesucht
hat, die ihrem Geschmack und Zeitgeist
entsprachen. Die Aegypter liebten die eckige
Steifheit, die Antike die Spiralen und S-Linien.
Es lässt sich der stetig steigende Sinn für
Bewegung verfolgen an den gebuckelten
und wulstigen Ornamenten der Gothik, an
den gedrungenen Schnörkeln der Ostasiaten
Plakat-Entwurf.
HANS CHRISTIANSEN.
und den leichten muthwilligen des Rokoko.
Der moderne Stil schliesslich ist der Stil der
äussersten Lebendigkeit und Bewegung, und
seine Linien ziehen sich mit Vorliebe in
langgestreckten Schwingungen dahin. Damit
engverwachsen ist die Freude an ausge-
grägten Richtungen, sodass sich vielfach die
Linien in zahlreichen Gruppen nur wenig
gegeneinander geneigt und nur wenig in
ihrer Form verschieden über die Fläche ver-
breiten. Man erkennt also auch hier, dass
der moderne Stil sich folgerichtig an die
Weltgeschichte der Stilisirung anschliesst.
Von grossem Einfluss auf die moderne
Dekoration ist auch die heutige Maschinen-
technik, denn bei fabrikmässiger Herstellung
irgendwelcher Kunstformen ist es noth-
wendig, diese so zu wählen, dass man die
Empfindung hat: gerade diese Art der De-
koration ist für eine sinngemässe und un-
gekünstelte Herstellungsweise des Gegen-
standes am zweckmässigsten und für die Art
der Technik am natürlichsten. Endlich ist