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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 2.1898

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Fries, F.: Hans Thoma
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https://doi.org/10.11588/diglit.6385#0160

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Hans T/ionia.

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Wind durch die Bäume rauscht, wo die Brust
sich unwillkürlich höher hebt und der Blick
in weite, unendliche Fernen hinausstrebt,
ein Gefühl schrankenlosester Befreiung er-
weckend; wer dann an einem lauschigen
Plätzchen mit ihm Halt gemacht, wo tiefe
Stille herrscht und nur das Plätschern des
Baches vernehmlich ist und wer dann über
sich geblickt in den tiefblauen Himmel
und dem Ziehen der weissen Wölkchen zu-
geschaut, wer dies alles auf den Bildern des
Meisters miterlebt, mitempfunden hat, wer
in ihnen etwas wie die Verklärung dessen,
was man Naturgenuss nennt, wiedergefunden,
dem braucht man nicht erst von seiner
Poesie zu reden. Wem aber das Murmeln
des Baches und das Summen der Insekten
nichts zu sagen hatte, wer nie unter Bäumen
liegend, in den blauen Himmel geblickt und
wer nie die Schauer schweigender Einsam-
keit in der Natur empfunden, dem werden
auch die Bilder Thoma's in diesem Sinne
nichts mittheilen können. Und doch verlangt
der stets active Verstand sein Recht. In
wem wäre nicht schon einmal das Bedürfniss
erwacht, zu wissen aus welchen Faktoren
sich die Wirkung des Bildes zusammensetzt,
wer hätte nicht schon einmal nach dem


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Studie (1863). HANS THOMA.


Studienkopf. hans thoma.
gesetzmässigen Zusammenhang gesucht in
den Werken grosser Künstler.
Alles Lebendige ist nur ein Werden,
alles Organische dem Wechsel unterworfen.
In unaufhörlicher Reihenfolge rastlos brauset
in dieser flüchtigen Welt Bild auf Bild an
uns vorüber, eine Summe von Eindrücken,
Verwirrung erzeugend. Vergeblich rufen
wir ein »Halt.« Unerbittlich, leise, unhörbar
dreht die Zeit an ihrem Rad. Es wird! Es
wird! ruft uns die Natur zu. Es wird! schallt
es wie ein vielfach gebrochenes Echo aus
allen Winkeln der Wissenschaft zurück.
Da — mitten in dieser Welt des Werdens
zeigt uns der Künstler, der grosse, unsterb-
liche, eine Welt des Seins, in der Welt der
Bewegung die Welt der Ruhe, der grossen,
erhabenen, klassischen Ruhe. Das was er
uns zeigt von dieser Welt ist nicht die
flüchtige Erscheinung, die vergeht, die weich
zerfliesst und sich umbildet unter dem Druck
der Zeit; es ist die zu Stahl gewordene, in
der lodernden Flamme seines Genius ge-
 
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