Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 4.1899

DOI article:
Wilser, Ludwig: Germanischer Stil und deutsche Kunst, [2]
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6387#0043
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Germanischer Stil und deutsche Kunst.

323

aus der Technik«
denken darf, liegt
auf der Hand.
Diese Beispiele
Hessen sich leicht
vermehren, und
es ist ja auch
nicht schwer zu
begreifen, dass
gewisse Zier-
formen , die ur-
sprünglich aus
der Bearbeitung
eines bestimmten
Stoffes entstan-
den waren, auf
einen andern, z.B.
von Holz auf
Stein oder Metall,
von Flechtwerk
auf Thon, von
Weberei oder
Knüpfarbeit auf
Bein, Holz oder
Metall, und um-
gekehrt von ge-
rolltem, gedreh-
tem oder ver-
flochtenem Draht
auf Thon, Holz,
Stein oder Bein
übertragen wur-
den. Ausser sol-
chen stofflichen . ,
Vorlagen hat aber die Zierkunst seit den
ältesten Zeiten auch lebende Vorbilder
Mensch und Thier, Zweig, Blüthe und
Blatt benützt. Je naturgetreuer diese wieder-
gegeben sind, desto »naturalistischer«, 3e
veränderter, desto »stilvoller« ist die zierende
Kunst. Man kann sogar behaupten, diese
habe gar nicht die Aufgabe, wirkliche Ab-
bilder zu schaffen, sondern nur gewisse
Gegenstände in gefälliger Weise zu schmucken,
mit Zierrath zu überziehen. Im grauen Alter-
thum wird die »Stilisirung« wohl meist un-
absichtlich erfolgt sein, weil der Künstler ort
nicht imstande war, naturwahr zu arbeiten,
bald aber wird sich unwillkürlich der Ge-
schmack den »stilisirten« Formen zugewendet

H. VOGELER—WORPSWEDE.

Gestickter Buch - Umschlag.

haben, da sie sich zum reinen Zierrath weit
besser eignen. Je weiter sich die Formgebung
von der Natur entfernt, je mehr sie sich in
einem frei erfundenen Linienspiel auflöst,
desto reizvoller wird meist der Eindruck,
desto eigenartiger und gefälliger das Zierwerk.
Es ist ein Hauptvorzug der europäischen
Kunst, nicht in Starrheit verfallen zu sein,
wie es frühzeitig im Orient, am Nil und theil-
weise auch in Griechenland der Fall war,
sondern durch wiederholte Aufnahme neuer
Muster, die aber durch die Art ihrer Behandlung
nur eine Bereicherung, nicht eine Umgestaltung
des Stils hervorbrachten, immer jugendfrisch
und lebensvoll geblieben zu sein. Durch fort-
laufende Wellenranken und schliesslich durch
 
Annotationen