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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Michel, Wilhelm: Rezeptive Begabung
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0097

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Rezeptive Begabung.

illustration ZU F. keim „DIE N1BET.UNGF.n"
GERLACIl'S JUGENDHÜCHEREI. GERLACH 4 WIEDLING — WIEN

dürfnis nach Lesern und Beschauern, nach
Kunstgenießern ausgebeutet, und es sind dann
immer Dilettanten, denen man solchen Hunger
nach Publikum unterschiebt. Ob aber gerade
die Dilettanten unter diesem Mangel am
stärksten leiden, bleibt fraglich. Zum echten,
berufenen Künstler gehört das Bewußtsein,
daß seine Werke Wirklichkeiten sind, daß sie
innerhalb der menschlichen Gesamtentwicke-
lung positiven und nicht unkontrollierbaren
Wert haben. Sieht er diese Werte so nach-
lässig behandelt, wie es die Übung ist, so
wird er darunter mehr leiden als der Dilettant,
der von der „Läßlichkeit" seines Tuns den-
noch mehr oder minder tief durchdrungen ist.
Es gälte meines Erachtens an allen Stätten,

wo auf Bildung und Erziehung der Menschen
Einfluß geübt wird, darauf hinzuwirken, daß
die Achtung vor dem Kunstwerk als einer sehr
wichtigen und greifbaren Realität mehr ver-
breitet und die Tätigkeit der Rezeption, der
Anteilnahme am Schaffen der Künstler mehr
Menschen als heute zur persönlichen Ange-
legenheit gemacht werde. Der Künstler ist
nicht möglich ohne den Kulturkreis, dem er
angehört. Dafür empfängt dieser Kulturkreis
aber von ihm sein Spiegelbild, seine Darstel-
lung und Ausprägung und damit eine Förde-
rung. Jedes Darstellen, jedes „Benennen",
sofern es aus guten Quellen schöpft, bedeutet
die Eroberung neuer, sei es auch nur einer
Fußbreite neuer Erde. — W. M.

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