Alte und neue Stadtteile.
PROFESSOR BRUNO PAUL— BERLIN.
Haus Westend. Empfangszimmer. Fensterseitc.
Stadtbilder wachsen sehr langsam. Ein Haus,
das keine Rücksicht auf seine bauliche Um-
gebung nimmt, begibt sich dadurch auf Jahr-
zehnte und Jahrhunderte hinaus der Möglich-
keit voller künstlerischer Wirkung. Man be-
trachtet den Maler als einen Narren, der seinen
Bildern unvorteilhafte, die Farben tötende oder
verfälschende Rahmen gibt. Ähnlich handelt
aber der Architekt, der sich seiner Abhängig-
keit von benachbarten architektonischen Mo-
menten nicht bewußt ist.
Dies gilt besonders für die Fälle, in denen
Neubauten im Herzen alter, künstlerisch wert-
voller Städte nötig werden. Sie werden sich
aus den angegebenen Gründen unbedingt dem
Straßenbilde, falls dieses Wert besitzt, unter-
ordnen müssen. Rücksichtslosigkeit bringt
Dissonanzen, und Dissonanzen wirken peinlich
oder, was noch schlimmer ist, lächerlich.
Geltung hat unsere Forderung aber auch
für selbständige neue Stadtteile, die sehr oft
das Entree der Stadt bilden.
Es fragt sich nur: In welcher Weise soll sich
der Wille zur „Anpassung" äußern?
Ich antwortete: Jedenfalls nicht durch Nach-
ahmung. Sie ist in ihrer Fehlerhaftigkeit zu oft
entlarvt worden. Die Harmonie, von der ich
rede, läßt sich durch bloßes Kopieren alter
Formen nie erreichen. Betritt man z. B. eine
Stadt, deren Stolz ein alter gotischer Markt-
platz bildet, durch eine Zufahrtstraße, die von
gotisierenden Villen gesäumt wird, so erlebt
man sicher nicht den Eindruck harmonischer
Überleitung zu jenem künstlerischen Kern-und
Höhepunkte der Stadt. Viel eher den einer
grellen Dissonanz, eines schreienden Wider-
spruches. Denn Gotik ist nicht eine Häufung
bestimmter Zier- und Konstruktionsformen.
Gotik ist in erster Linie eine Weltanschauung.
Es ist die innere Ähnlichkeit, auf die es an-
kommt, eine Ähnlichkeit viel mehr der Quali-
tät als der Modalität. Ein Übereinstimmen in
dem Maße der Schöpferkraft, nicht nur in der
Art der Geberde.
Wir Heutigen sind empfindlich für das, was
am Kunstwerk wesentlich und wirklich
ist. Wir lassen uns nicht leicht belügen. Wir
sagen nicht gleich vor einer Fassade, die uns
Spitzbogen, Fialen, Krabben und Kreuzblumen
serviert: Das ist gotisch. Sondern wir sagen
viel leichter: Das ist Kitsch.
Soll nun damit die Vermeidung jedes Ein-
gehens auf die Formensprache älterer Stile
empfohlen sein? Keineswegs. Sondern es soll
197
PROFESSOR BRUNO PAUL— BERLIN.
Haus Westend. Empfangszimmer. Fensterseitc.
Stadtbilder wachsen sehr langsam. Ein Haus,
das keine Rücksicht auf seine bauliche Um-
gebung nimmt, begibt sich dadurch auf Jahr-
zehnte und Jahrhunderte hinaus der Möglich-
keit voller künstlerischer Wirkung. Man be-
trachtet den Maler als einen Narren, der seinen
Bildern unvorteilhafte, die Farben tötende oder
verfälschende Rahmen gibt. Ähnlich handelt
aber der Architekt, der sich seiner Abhängig-
keit von benachbarten architektonischen Mo-
menten nicht bewußt ist.
Dies gilt besonders für die Fälle, in denen
Neubauten im Herzen alter, künstlerisch wert-
voller Städte nötig werden. Sie werden sich
aus den angegebenen Gründen unbedingt dem
Straßenbilde, falls dieses Wert besitzt, unter-
ordnen müssen. Rücksichtslosigkeit bringt
Dissonanzen, und Dissonanzen wirken peinlich
oder, was noch schlimmer ist, lächerlich.
Geltung hat unsere Forderung aber auch
für selbständige neue Stadtteile, die sehr oft
das Entree der Stadt bilden.
Es fragt sich nur: In welcher Weise soll sich
der Wille zur „Anpassung" äußern?
Ich antwortete: Jedenfalls nicht durch Nach-
ahmung. Sie ist in ihrer Fehlerhaftigkeit zu oft
entlarvt worden. Die Harmonie, von der ich
rede, läßt sich durch bloßes Kopieren alter
Formen nie erreichen. Betritt man z. B. eine
Stadt, deren Stolz ein alter gotischer Markt-
platz bildet, durch eine Zufahrtstraße, die von
gotisierenden Villen gesäumt wird, so erlebt
man sicher nicht den Eindruck harmonischer
Überleitung zu jenem künstlerischen Kern-und
Höhepunkte der Stadt. Viel eher den einer
grellen Dissonanz, eines schreienden Wider-
spruches. Denn Gotik ist nicht eine Häufung
bestimmter Zier- und Konstruktionsformen.
Gotik ist in erster Linie eine Weltanschauung.
Es ist die innere Ähnlichkeit, auf die es an-
kommt, eine Ähnlichkeit viel mehr der Quali-
tät als der Modalität. Ein Übereinstimmen in
dem Maße der Schöpferkraft, nicht nur in der
Art der Geberde.
Wir Heutigen sind empfindlich für das, was
am Kunstwerk wesentlich und wirklich
ist. Wir lassen uns nicht leicht belügen. Wir
sagen nicht gleich vor einer Fassade, die uns
Spitzbogen, Fialen, Krabben und Kreuzblumen
serviert: Das ist gotisch. Sondern wir sagen
viel leichter: Das ist Kitsch.
Soll nun damit die Vermeidung jedes Ein-
gehens auf die Formensprache älterer Stile
empfohlen sein? Keineswegs. Sondern es soll
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