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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Breuer, Robert: Klebe-Arbeiten Hamburger Kunstgewerbe-Schüler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0284

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KLEBE-ARBEITEN HAMBURGER KUNSTGEWERBE-SCHÜLER.

VON ROBERT BREUER WILMERSDORF.

Es gibt stets eine Dissonanz, wenn Kunst
gelehrt werden soll. Kunst und Geschmack
lassen sich nicht lehren, lassen sich nur aus
eingeborenen Anlagen entfalten. Es steht da-
mit ganz anders als etwa mit dem Rechnen,
mit der Orthographie, mit dem Auswendig-
lernen irgend welcher Daten. Man kann
zum Unterricht in der Kunst kein Lehrbuch
und keine Schablone benutzen; alles kommt
hier darauf an, die schlafenden Sinne des
Schülers zu erwecken, ihn mit eigenen Augen
sehen, ihn in sich selbst hineinhorchen zu
machen. Es gilt nicht, dem Novizen irgend
etwas anzudressieren; der Unterricht ist hier
eigentlich mehr ein physiologischer Akt, eine
Art Massage, eine Fortoperation gewisser
Hemmungen, eine Freilegung der prädestinier-
ten Bahnen. Beim Kunstunterricht soll der
Lehrer nicht mehr sein, als ein Geburtshelfer
und im besten Falle ein Organisator der vor-
gefundenen, zur Blüte drängenden Anlagen
des Schülers. Darum ist es so gefährlich, mit
dem Abzeichnen fertiger Kunstwerke beginnen
zu lassen. Die Suggestion anerkannter Kunst-
werte auf die Jugend, besonders die künst-
lerisch veranlagte, ist von vornherein eine
starke. Wie wäre sonst wohl im Jüngling der
Wille zur Kunst erwacht, wenn nicht durch
die Bewunderung von Werken seiner Um-
gebung , wenn nicht durch die Leidenschaft,
die ihn packte, Landschaften und Figuren,!
Historiker und Symbolisten, die er preisen
hörte und anbeten sah, aus eigner Kraft, wo-
möglich noch schöner erstehen zu lassen.

Dem Jüngling wird es darum anfangs nur be-
hagen, seine Götter zu kopieren, sich an dem
zu versuchen, was ihm höchstes Ideal und
letztes Ziel scheint. Erst später, wenn er
plötzlich merkt, daß seine Ideale ihm trotz
alles Bemühens nicht die begehrte Antwort
geben, daß er nicht an sie heran kann und im
Grunde doch über sie hinaus möchte, ja, über
sie hinaus muß, dann erst wird er stutzen,
wird das Kopieren als ein Hemmnis, die Götter
als Götzen und den, der ihm diesen tauben
Weg zeigte, als einen Tölpel erkennen lernen.
Hier ruhen die psychologischen Wurzeln der
heftigen, oft erschütternden Konflikte, die den
jungen Künstlern, sonderlich den jungen Aka-
demikern, beschieden sind. Dies Erkennen
der Versklavung, in die man geraten, der
Zwecklosigkeit einer blinden Gefolgschaft im
Heerbann der einst verhimmelten, jetzt ver-
fluchten Klassiker, ist die sehr simple, sehr
natürliche und sehr alltägliche Erklärung für
die Faulkrankheit, für die Interesselosigkeit,
von der gedrillte Musterschüler plötzlich er-
griffen werden. Sollten solche Erfahrungen,
ebenso häufig wie bitter, nicht zu der Einsicht
führen, daß dieser Weg, der ach so übliche
und für den Lehrer so bequeme, ein falscher
ist; daß es nicht darauf ankommt, den Zögling
die reinsten Werte der Vergangenheit minuziös
nachahmen und sich von ihnen erdrosseln zu
lassen, als vielmehr darauf: zunächst einmal
die leiblichen Augen natürlich sehen, die leib-
lichen Hände natürlich werken zu lehren. Daß
solche Methode die richtige ist, wird vernünf-

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