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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Breuer, Robert: Klebe-Arbeiten Hamburger Kunstgewerbe-Schüler
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0296

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Klebe-Arbeiten Hamburger Kunstpewerbe-Schükr.

großen Welt, die ihn taumeln machte, und die
er so heiß liebte, die er ganz in sich einsaugen
und herrisch meistern wollte, eingefangen,
hatte es festgehalten, hatte es angenagelt.
Und jetzt, jetzt lebte dies Stück Wirklichkeit
durch ihn ein neues Dasein; jeder, der das
Blatt ansah, machte ein überzeugtes und hei-
teres Gesicht. Vor allem die Farben, die ge-
fielen besonders, diese frischen, gesunden, un-
gebrochenen Farben. Er selbst, der noch be-
stürzt und gerührt vor dem Ereignis stand, ein
Schöpfer zu sein, er selbst trank diese Farben,
dies schreiende Grün und dies jauchzende
Rot in sich hinein. Und mit neuem Eifer
machte er sich daran, aus der Erinnerung und
nach der Natur Figuren zu schneiden; oder
er nutzte die Schere für einige bestimmte,
primitive Stereotypen, Kreise, Vierecke, Ovale,
und stellte sich aus diesen Flecken Ornamente
zusammen. Das hatte seinen besonderen Reiz,
auf hellem oder schwarzem Grund die bunten
Atome hin und her zu rücken, in Rhythmen
zu ordnen und wieder aufzulösen, bis daß
etwas herauskam, daran man seinen Gefallen
haben konnte. Das alles war unendlich viel
leichter, als wenn mit dem Pinsel gearbeitet
worden wäre. Da hätte man nicht annähernd
so leicht falsche Gliederungen, unklare Klänge
beseitigen und korrigieren können, da hätte
man erst wieder decken und radieren müssen;
jetzt genügte ein feiner Druck mit den Finger-
spitzen, mit den Exekutoren der Nerven, und
die bunten Flecke reihten und drehten sich nach
dem Willen des jungen Formenfinders. Und
noch eins. Die Schere ist ein wesentlich harm-
loseres Werkzeug, als etwa der Bleistift, die
Feder oder selbst der Pinsel. Sie verliert sich
nicht so leicht in Nebensächlichkeiten, sie
zwingt zur großen Form, zum geschlossenen
Umriß, zur Silhouette. Gibt es nun für den
Anfänger etwas Gesünderes, als genötigt zu
sein, auf die Hauptwerte, auf das Maßgebende,

auf die typischen Verhältnisse, die charakte-
ristischen Auswüchse und Einbiegungen, zu
achten.

Herrgott ja, die Philister und Perrücken
werden wohl zetern, daß dies doch kein Unter-
richt sei, dieweil dabei nicht geseufzt und ge-
schwitzt würde. Hihi, spützen die Mummel-
greise, so etwas ist keine Arbeit, ist nur ein
Spiel, so etwas führt nicht zur Kunst, zur
heiligen, lenkt von ihr ab, verführt, vergiftet,
tööötet. Aber das ist alles Schwindel, was die
graubärtigen Kunstpauker jammern. Selbst-
verständlich können diese Klebearbeiten nicht
das einzige Lehrmittel zur Kunst sein; aber
sie sind wie das Aufreißen eines Fensters vor
den Sinnen und vor der Seele des Jünglings,
daß das frische , ungekränkte Leben einmal
hineinstürze und unvergeßliche Erinnerungen
einbrenne. Einmal etwas gesehen haben, wirk-
lich durch eigene Augen, es gesehen, genossen,
gemeistert haben, das bleibt als ein Erlebnis
von unermeßlicher Süße und von nie ein-
schlafender Lockung. Daß es an vielem, ja
an allem noch fehlt, um wirklich ein Künstler
zu sein, einer, der dauernd erlebt und dauernd
schafft, das werden die Ordentlichen und
Tüchtigen schon von selbst einsehen. Dies
einsehen zu helfen, ist die wichtigste Pflicht
des überwachenden Lehrers. Da soll er mit
allem Takt und mit zarter Achtung vor der
wilden Pflanze anfangen, sanft zu biegen und
zu brechen; da soll er anreizen, immer Schwie-
rigeres zu versuchen, um an die toten Punkte
und über sie hinaus zu kommen. Wenn dann
den Klebübungen die ersten Exerzitien mit
dem Pinsel folgen, die ersten Versuche, ohne
Vorzeichnung, sei es aus der Vorstellung, sei
es nach der Natur, Körper in Flächen zu über-
setzen, Flächen in scharfen Konturen zusam-
menzuhalten, dann ist schon der erste Schritt
getan, um die Früchte des künstlerischen Spie-
les für reelle Arbeit zu nützen, hob. ereiier.

EMIL l'IKCHAN—MÜNCHEN.

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