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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 25.1909-1910

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Michel, Wilhelm: Vom Bilderbetrachten
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https://doi.org/10.11588/diglit.7377#0396

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Lage kommt, zu sehen, was da ist, und dies
für den Genuß nutzbar zu machen.

Sehen, was da ist. Das bedeutet in erster
Linie, daß man sich zunächst rein an die
sinnliche Erscheinung des Kunstwerkes
hält. Die Linie, die Farbe, der Vortrag, die
Technik, sie sind es, die die eigentliche piece
de resistance des Kunstwerkes bilden. Zu
unseren Sinnen spricht die ganze Welt, an
unsere Sinne wendet sich alles, was zu unse-
rem Geiste und zu unserem Herzen will. Was
nicht in den Sinnen ist, kommt auch nicht ins
Gefühl und in die Seele. Gestalt, sichtbare
und tastbare Gestalt macht das Wesen der
Welt aus. Man muß ein Kunstwerk zunächst
ansehen wie einen Wald, wie eine Bergland-

schaft, wie ein Kornfeld, wie einen gestirnten
Himmel. Es wird dafür so dankbar sein, daß
es alles andere, was es uns darüber hinaus zu
geben hat, ganz freiwillig und ungebeten dar-
reicht. Haben die Sinne gute, tüchtige Arbeit
getan, so wirkt sie fort und fort bis ins Innerste
hinein. Hat man die optische Erscheinung
eines Kunstwerkes nach allen Seiten hin wohl
begriffen, haben seine Linien über den Rhyth-
mus des Lebens in uns Gewalt gewonnen, sind
die Akkorde seiner Farben in den Saiten un-
serer Seele nachgeklungen, hat seine räum-
liche , stoffliche und formale Charakteristik
stark zu uns gesprochen, so haben wir es ver-
standen und ihm Genüge getan. Der Talmud
sagt (in Strindbergs „Schwarzen Fahnen" finde

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