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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Hoeber, Fritz: Die Proportionalität der griechischen Kunst
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0056

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Die Proportionalität der griechischen Kunst.

'/lo, und dieses zerfällt dann wieder in die
drei gleichen Teile, Stirne, Nase und Unterge-
sicht, ein Teilungssystem, das merkwürdig
genau von den Theorien Lionardos und Al-
brecht Dürers befolgt wird. Im archaischen
Griechenland bestanden ursprünglich dieselben
primitiven Proportionen, wie man sie z. B. an
dem prächtigen Apollon von Orchomenos in
Böotien sehen kann. Attika freilich hat diese
anfängliche Herbheit zu modulieren versucht,
indem es an Stelle jener Dreiteilung die für
seine Kunst spezifische Gleichung der Distan-
zen: Haaransatz bis unterer Nasenflügelrand
und innerer Augenwinkel bis Kinn setzte.

Aber ganz überwunden hat selbst Attika
Gleichheit und Gleichteilung niemals. Der Sinn
für Koordination steckte zu tief in allem, was
man griechische Komposition nennt. Man mag
sich der Analogie halber an jene primitiven
Tonleitermelodien, an die dorischen „Mo-
nodien" erinnern, von denen Nietzsche meint,
diese Musik sei gleichermaßen dorische
Architektur in Tönen gewesen, aber nur in
angedeuteten Tönen, wie sie der Kythara
zu eigen sind. Oder noch konkreter lassen
sich diese einfach summierenden arithme-

tischen Proportionen der griechischen Kunst
als Schwingungsverhältnisse von C-Dur be-
greifen, als die Konsonanz der Oktave, der
Quinte, der Quarte, der großen Terz usw.

Solchergestalt hat man sich das Innensystem
eines griechischen Kunstwerks vorzustellen
als reine einfache Harmonie und als eine
wenig komplizierte Proportionalität. Wol-
len wir mit Jakob Burckhardt für diese griech-
ische Kunst eine Geschichte ihrer Denkweise
und Anschauungen geben und nach der Er-
kenntnis der lebendigen Kräfte, der aufbauen-
den wie der zerstörenden, streben, so gilt es
vorzüglich, uns ihre Grundprinzipien vor Augen
zu halten: Orthogonalität und Koor-
dination, Geradwinkligkeit und
Nebeneinanderordnung. — f. h.

£

Es ist durchaus hoffnungslos, in irgend einer
Form der Kunst durch rein mechanische Prinzipien
und Lehren irgend etwas erreichen zu wollen. Selbst
die vollkommenste Bemeisterung des Materials kann
nicht geniigen. Denn in der Tat beginnt dann doch
erst die Arbeit des wirklichen Künstlers, wie die
Satjbildung und die Form des Ausdruckes der Er-
lernung der Sprachlaute folgt. — Walter Crane.
 
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