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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Breuer, Robert: Ein Laden von Hermann Muthesius
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0057

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Ein Verkaufs,-Raum für graphische Kunstblätter.

EIN LADEN VON HERMANN MUTHESIUS.

Der Einfluß, den der Messeische Wertheim-
bau auf die moderne Architektur übte,
ist gut bekannt. Das Warenhaus war die erste
architektonische Gestaltung der neuen Auf-
gaben und Notdürfte des großstädtischen Han-
dels. Man darf sagen, daß dieser Typus des
Warenhauses das Stadtbild der City maß-
gebend beeinflußt hat; heute beherrscht er es.
Damit ist wieder einmal der Beweis gegeben,
daß auf der Basis des gegenwärtigen Wirt-
schaftsprozesses das Kapital auch in allen kul-
turellen und künstlerischen Problemen Pionier
und Sieger ist. Zur Bekräftigung dieser Realität
sei dann festgestellt, daß die Verkaufsräume
der kleineren Geschäfte auch nicht annähernd
so energisch nach dem Maß eines modernen
Formenbedürfnisses umgewertet wurden. Sie
sind zu einem erheblichen Teil noch heute in
der gleichen Verfassung wie vor zehn und fünf-
zehn Jahren. Nur wenige und selbstverständ-
lich wiederum nur die besser kapitalisierten
haben die üblen Geschmacklosigkeiten der
Gründerzeit und die billigen Schmuckstücke
des Jugendstils abgetan. Immerhin, man findet
"eute in Berlin und wohl auch in mancher
andern Großstadt, hier und da, vernünftig und
schön eingerichtete Verkaufsläden. Nach der
geschichtlichen Reihenfolge dürfte van deVelde
der erste sein, der Verkaufsstätten künstlerisch
reifer Zweckform schuf. Von später eingerich-
teten Läden seien die des Peter Behrens beson-
ders hervorgehoben. Jetzt ist auch Hermann
Muthesius zu nennen; im Hotel Adlon hat er
für den Kunsthändler Charles A. de Burlet
einen Verkaufsraum hergerichtet. Es handelte
sich darum, Werken der Graphik, besonders
alten Stichen, einen möglichst ruhigen und
neutralen Hinterg rund zu geben. Um diese Ab-
sicht zu erreichen, mußte zunächst die bereits
vorhandene Architektur, die durch ihr pom-
pöses Barock jede Wirkung der feinstrichigen
schwarz-weißen Kunstwerke niedergetrommelt
hätte, verdeckt werden. All die Schnitzerei,
all die Buntheit, die zu dem repräsentativen
Stil des Hotel Adlon gehört, mußte schwinden.
Muthesius wählte hierzu den kürzesten, zu-
gleich den erfolgreichsten Weg; er nutzte die
notwendige Schutzwand gegen das Alte zum
Aufbau eines neuen Raumes. Dadurch wurde
der Laden zwar um einiges kleiner und nied-

riger, doch diente ihm das nur zum Vorteil.
Die neuen Wandungen bestehen aus Rohseide,
die über Rahmen gespannt wurde. Durch
schmale, fraiserote Borden wurden die Wände
gegliedert und in Felder zerlegt, wie sie den
normalen Abmessungen graphischer Blätter
entsprechen. Alles Holzwerk läßt die milde
Blondheit des Ahorn in den Raum strahlen.
Die Decke wurde in Kassetten ausgebildet;
die Felder zwischen den Ahornleisten tragen
ein schabloniertes Ornament in Rot. Pfirsich-
farben sind auch die Bezüge der Sitzmöbel,
die, niedrig und breit, der kühlen Neutralität
des Raumes eine vornehme Wärme und be-
hagliche Fülle geben. Der gleichen Absicht
dienen die dunkelgebeizten Kastenmöbel; ihre
gedrungenen Körper bekommen durch den
Rhythmus der Profile soviel Milderung, soviel
Pathos, als nötig ist, um, vereint mit dem sanf-
tenPurpur derTextile, die durchsichtige Blond-
heit ringsum räumlich und körperhaft zu mate-
rialisieren. Mit diesem Laden hat Muthesius
bewiesen, daß ein organisatorisches Talent von
schönem Maß geringen Aufwand braucht, um
etwas in sich Vollkommenes zu schaffen. Die-
ser Laden stellt einen Typus dar. Er ist objek-
tiv betrachtet ein neuer Sieg des modernen
Wollens über alte Gewöhnung, auch ein Zei-
chen für das immer weitere Kreise ergreifende
Kulturbewußtsein des Kaufmanns. Subjektiv
betrachtet ist dieser Laden ein Dokument da-
für, daß Muthesius nicht nur dem Landhaus,
auch den Bedürfnissen der City ein erfolgrei-
cher Reformator sein kann. Robert breuer.

Die Künste selbst sowie ihre Arten sind unter-
einander verwandt, sie haben eine gewisse Neigung,
sich zu vereinigen, ja sich ineinander zu verlieren;
aber eben darin besteht die Pflicht, das Verdienst,
die Würde des echten Künstlers, daß er das Kunst-
fach, in welchem er arbeitet, von andern abzuson-
dern, jede Kunst und Kunstart auf sich selbst zu
stellen und sie aufs möglichste zu isolieren wisse.

Eines der vorzüglichsten Kennzeichen des Ver-
falles der Kunst ist die Vermischung der verschie-
denen Arten derselben.

Der echte, gesetzgebende Künstler strebt nach
Kunstwahrheit, der gesetzlose, der einem blinden
Trieb folgt, nach Naturwirklichkeit; durch jenen
wird die Kunst zum höchsten Gipfel, durch diesen
auf die niedrigste Stufe gebracht. Goethe.

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