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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Linde, Hermann: Tschudis Eingriff in ein Rubens'sches Bild
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0096

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Tschudis Eingriff in ein Rubens sches Bild.

angefeuchtet und mit Watteballen trocken gerieben.
— Über die Nüßlichkeit solcher Waschbehand-
lung gehen die Ansichten auseinander, und es
wird vielfach behauptet, daß das Abblättern der
Farbschicht bei so vielen alten Gemälden, na-
mentlich solchen auf Holzplatten gemalten, dem
Anfeuchten mit Wasser zuzuschreiben ist. Wenn
solche Reinigung aber in subtilster Weise nach
und nach geschieht, so ist sie jedenfalls dem
heute so beliebten Lackabnehmen, durch welches
so zahlreiche alte Bilder schon entwertet wurden,
vorzuziehen. — Dag aber diese Arbeit, in wenigen
Wochen ausgeführt, bei einem Bilderbestand von
weit über tausend und zum Teil sehr großen
Gemälden nicht zum Vorteil für die Bilder war,
zeigen die defekten Stellen, die manche auf-
weisen, wie die Landschaft von Sal. Ruysdael
Nr. 543, die Landschaft von L. v. Uden Nr. 475,
die kleine von Cuyp, deren zart getönte Luft
jeßt viel fleckiger erscheint wie früher, Rem-
brandts Grablegung Nr. 330 und andere.

Doch wurden auch Eingriffe in die Bilder
selbst vorgenommen. Die Gemälde wurden, wie
der Augenschein lehrt, in fast mathematischer
Genauigkeit als Pendants gehängt, und dabei
wurden verschiedene in ihren Größenformaten
abgeändert. - So wurde von dem Snyders'schen
Stilleben mit Figuren — als Gegenbild des van
Geldern — circa 2 handbreit abgebogen; die
„Satyre" von Rubens (auf Holz) verloren ringsherum
ungefähr 7 cm, von denen sich ein Teil allerdings
unter dem Rahmen befindet. Wenn es sich um
Zutaten späterer Zeiten handeln sollte und man
ängstlich den ersten Zustand wiederherstellen zu
müssen glaubte, so ist es unverständlich, warum
dann andere Bilder nach eigenem Ermessen
abgeändert wurden, wie es bei dem schönen
Rubens „Meleager und Atalanta" geschah, der
um die Hälfte verkleinert wurde, als
Pendant zum „Seneca" ! — Es war dies einer
der schönsten Rubens der Sammlung, völlig
intakt im Gegensaße zu vielen andern, die durch
früheres Lackabnehmen und Abwaschen gelitten
hatten. — Die rechte Seite des Bildes mit der
grogzügigen Landschaft und zwei lebensgroßen
Hunden, sowie auf der anderen Seite der Baum
und andere 2 Hunde sind fortgenommen;
nur die mittlere Figurengruppe ist übrig geblieben,
knapp vom Rahmen umschlossen. Indem man
etwa 4 qm Rubens'scher Malerei entfernte, machte
man aus einem großen Gemälde in Breitformat
ein kleines in Hochformat! Was für Gründe bei
diesem Vorgehen noch mitgesprochen haben, ist
schwer zu sagen. Vielleicht hat der Direktor ge-
glaubt, daß die Landschaft nicht von Rubens' eigner
Hand war; dann aber wehe allen Bildern, bei denen

man die Mitarbeit anderer Künstler vermutet.
- Die vorangestellte Abbildung zeigt das Ge-
mälde, wie es in früherem Zustande war, die Ver-
änderungen, die es erlitten hat, sind durch weiße
Linien bezeichnet. — Es ist darauf - auch für
Nichtfachleute — unschwer zu erkennen, wie auf
dem Bilde alles zusammengehört, und mit wie
feinem Gefühl der große Meister die Vertikal- und
Horizontallinien in wunderbarem Rhythmus zusam-
mengeführt hatte, gehoben durch die Konturen
der Hunde und durchkreuzt von der das Bild
durchschneidenden Speerlinie. Von den in den
Wolken thronenden allegorischen Figuren wirkt
die eine, die übrig geblieben ist, in der oberen
Ecke ganz sinnlos! Und von der Meute, die Rubens
dem Meleager in voller Absicht mitgegeben hatte,
um den gefürchteten Eber zu erlegen, ist nur
noch ein Hund übrig geblieben! Ebenso war die
Verteilung von hell und dunkel in diesem klas-
sischen Bilde mit feinster Empfindung abgewogen,
während jetgt die hellen Partien zu stark vor-
herrschen. Der Eingriff bedeutet demnach eine
Verlegung sowohl des künstlerischen wie des ge-
danklichen Inhaltes dieses Gemäldes. —

Den Auftrag, die Seitenstücke abzuschneiden,
wies der Restaurator, wie erzählt wird, von sich,
und so beruhigte man sich in Künstlerkreisen
mit dem Gedanken, daß die umgebogenen Seiten
bald wieder gezeigt werden würden. Doch wird
das nicht der Fall sein können; das Gemälde
ist nicht vorsichtig etwa um eine Rolle gebogen,
sondern hart um die Kanten des Blendrahmens
geknickt; es hat Brüche erhalten, die nicht
wieder herauszubringen sind. Außerdem wurde
hineingemalt, indem die überragenden Teile
des stehenden Hundes wegretouchiert wurden.

Staunend fragt man sich da: sind die alten
Gemälde der Willkür des Direktors preisgegeben,
oder sind sie als unerseßbare Güter seiner Ob-
hut anvertraut? In der Erwägung, dag auch in
früheren Zeiten Gemälde durch Eingriffe entwertet
worden sind, ist eine Künstlerkommission ein-
gesetzt, die zu entscheiden hat, ob und wie weit
Gemälde restauriert werden sollen. Wie stellt
sich diese Galeriekommission, der Künstler wie
F. A. v. Kaulbach und v. Löfftz angehören, zu
diesem Vorgehen? Hat sie ihre Zustimmung
gegeben oder wird sie nicht lange gefragt? -
Wenn es wahr ist, daß noch weitere Eingriffe
bevorstehen, so sind wir wirklich auf dem Stand-
punkte angelangt, den Pettenkofer in seiner Schrift
„Über Ölfarbe" ironisch so charakterisierte, daß
man bei Eingriffen in die Gemälde schlieglich
dahin gelange, daß der eine Direktor die Bilder
blau und der andere sie grün lasieren ließe,
je nach dem herrschenden Geschmack. - Nach

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