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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Michel, Wilhelm: Das Elend der Illustration
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0309

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Das Elend der Illustration.

Illustrationstechniken — allen ist gemeinsam
die Abneigung gegen die sachliche Charakte-
risierung der Objekte. Sie sind alle ihrem
Wesen nach nicht erzählender, sondern lyri-
scher Art. Man betrachte daraufhin unsere
Graphik: Von ganz wenigen Ausnahmen ab-
gesehen, versteht sie nicht, Begebenheiten zu
erzählen, sondern höchstens Zuständliches mit
summarischen Mitteln subjektiv zu charakteri-
sieren. Innerlich
steht die heutige
Zeichen -Technik
vollkommen un-
ter derHerrschaf t
rein malerischer

Gesichtspunkte,
möge ihre Aus-
drucksweise auch
noch so rein gra-
phisch sein. Auf
Schritt und Tritt
spricht sie es aus,
daß es ihr nur auf
die artistischeLö-
sung des Bildpro-
blems ankommt,
auf Reiz der
Linie, auf wohl
abgewogene Mas-
sen - Verteilung.
Die lebendige
Tradition der Fe-
der- undBleistift-

zeichnung er-
lischt bei uns mit
Menzel. Von ihm
an erringt sich die
Zeichen -Technik
eine Autonomie,
die keinen An-
spruch des Ob-
jektes mehr an-
erkennt. Sie ge-
winnt vielleicht
an Monumentali-
tät, an der Fähig-
keit, selbständige
Werte zu schaf-
fen, aber sie ver-
liert an Flüssig-
keit des Aus-
drucks, Fähigkeit
der Pomtierung,
an erzählerischer
Laune. So stehen

wir heute. Oder < hermann haixer paris.

doch nicht mehr ganz so. Ich glaube doch, daß
Dinge wie Slevogts Illustrationen zu „Ali Baba",
zur „Ilias" und zum „Lederstrumpf" keine
vereinzelten Erscheinungen sind und bleiben
werden. Jahrelang haben wir nun in alten
Bücherschätzen gegraben und haben dabei
nicht nur die alten Texte, sondern auch die
Illustrationen mit Ernst und Nachdenken be-
trachtet. Wir sind dabei doch zweifelhaft ge-
worden, ob wir
mit der bedin-
gungslosen Geg-
nerschaft gegen
die „Novelle"
nicht das Kind mit
dem Bade ausge-
schüttet haben.
Ebenso wie un-
sere Dichter da-
ran sind, das Er-
zählen wieder zu
lernen, regt sich
auch in denKünst-
lern ein Gefühl
dafür, daß die
sachliche Schilde-
rung interessan-
ter Vorgänge sie
nicht abzuhalten
braucht, künstle-
risch hervorra-
gende Leistungen
zu bieten. Eine
Begabung wie
diejenige Gustav
Dores, mit der
wir noch vor
10 Jahren nichts
oder nur wenig
hätten anfangen
können, gewinnt
für uns wieder
eminente Bedeu-
tung. — Hogarth
kommt zu neuen
Ehren, Pocci wird
ausgegraben und
trfreut uns durch
die epische Ein-
falt seiner Zeich-
nungen und Holz-
schnitte. — Es
fehlt also nicht an
Anzeichen, die
auf eine Wieder-
belebung unserer

»Gehendes Mädchen«, Bronze.

1910. XI. 3.

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