Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

DOI article:
Widmer, Karl: Natur und Technik
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0392

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
HANS BEATUS WIELAND - MÜNCHEN.

Haus Henkell. Bibliothek im Herrenzimmer.

NATUR UND TECHNIK.

Die moderne Technik hat eine Formenwelt
geschaffen, die sich von der des Handwerks
im wesentlichen durch zwei Eigenschaften unter-
scheidet: einmal die größere Exaktheit der
Arbeit, die im Gegensatz zu der relativen Un-
regelmäßigkeit handwerklicher Erzeugnisse eine
absolute Ebenmäßigkeit und Regelmäßigkeit
der Linien und Flächen aufweist; ferner die
größere Knappheit der Form, die äußerste
Beschränkung des Materialaufwands auf das,
was durch den Zweck, die Konstruktion und
die technische Leistungsfähigkeit des Materials
bedingt ist, während das Handwerk immer mit
einem größeren oder geringeren Überschuß von
Stoff arbeitet.

Die handwerkliche Arbeit hatte ihre beson-
deren künstlerischen Vorzüge, die mit dem Sieg
der Technik verloren gehen mußten. Es war der
persönlichere Charakter, der durch den Einfluß
der lebendigen Menschenhand hineinkam; es
war die frischere Materialwirkung, der Erdge-
ruch des Stoffes; und es war das Schaffen aus

dem Vollen, jenes Schwelgen im Material, durch
das die Formen den Charakter ihrer fleischigen
Fülle bekamen — „ süß ist jede Verschwendung ",
dieses Wort bezeichnet so recht das Wesen des
handwerklichen Schaffens im Gegensatz zu der
materialgeizigen Produktionsweise der Technik.

Soviel nun unsere heutige Kultur durch die
technischen Fortschritte von diesen künstle-
rischen Qualitäten verloren hat, so unberechtigt
war doch die Meinung von dem unbedingt
kunstfeindlichen Wesen der Technik. Die
Einsicht hat sich längst Bahn gebrochen, daß
auch die mechanische Produktionsweise durch
die Maschine einer künstlerischen Formverede-
lung fähig ist. Auch die Exaktheit der Maschinen-
arbeit, die zweckbetonende Knappheit der Form
hat ihre eigene Art von Schönheit, aus der sich
ein künstlerisches Äquivalent für die mit dem
Handwerk untergehende Formenwelt ergeben
kann. Ja, die von der Kunst verpönte Welt der
technischen Formen hat schon begonnen, von
sich aus auf die Entwicklung des künstlerischen

376
 
Annotationen