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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 26.1910

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Widmer, Karl: Natur und Technik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7378#0397

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Natur und Technik.

geist, der aus der Konstruktion eines modernen
Straßenbahnwagens spricht, auch in der Eisen-
und Glaskonstruktion eines modernen Schau-
fensters, einer Markthalle, einer Bahnhofshalle.
Und die gesamte Entwicklung unserer heutigen
Architektur im Sinne zweckbetonender Einfach-
heit und strikter Sachlichkeit ist doch minde-
stens Geist vom gleichen Geiste.

Noch deutlicher zeigt sich das im Innern der
Häuser. Unsere gesamte Ausstattungskunst vom
Mobiliar bis zur Tischlampe und zum Eßlöffel
steht heute unter dem Einfluß eines Formen-
geistes , der der unmittelbare Zeuge einer von
der Maschine ausgehenden Stilentwicklung ist.
Darum gibt es auch heute kaum eine technische
Erfindung des häuslichen Komforts, die sich
nicht künstlerisch mit der Ausstattung unserer
Wohnräume vertragen kann, vorausgesetzt, daß
sie ihrem eigenen Schönheitsprinzip treu bleibt,
sich nicht mit den fremden Federn irgend eines
kunstgewerblichen Schnörkels schmückt.

Das Verhältnis der technischen Formenwelt
zur Umgebung verändert sich aber vollständig,
sowie sie in der freien Landschaft auftritt.
Die Natur gestaltet künstlerisch nach den glei-
chen Prinzipien wie das Handwerk, nur in noch
gesteigertem Maße. Sie schafft aus dem Vollen,
mit Materialüberschuß und Materialverschwen-

dung, und unregelmäßig, mit allen Reizen des
Individuellen, von der abstrakten Schablone
Abweichenden. Darum passen unsere modernen
technischen Erfindungen in diese Umgebung
nicht recht hinein. Sie wirken mit ihrer exak-
ten Regelmäßigkeit und Materialarmut nüchtern
und ärmlich in dem Reichtum der Naturformen.
Viel besser stand alles das in der Landschaft,
was das alte Handwerk von Nutzformen hinein-
gestellt hatte.

Der Widerspruch zwischen der Welt der
Naturformen und der Welt der technischen
Formen wird sich mit künstlichen Mitteln nicht
versöhnen lassen, denn gerade großen techni-
schen Aufgaben gegenüber (Flußregulierungen,
Eisenbahndämme, eiserne Viadukte, moderne
Schleußen) sind künstlerische Bestrebungen
machtlos. Die beeinträchtigende Wirkung auf
den malerischen Charakter der Landschaft
wird im großen und ganzen immer bestehen
bleiben, wenn auch durch eine künstlerische
Schulung und Beratung des Baumeisters un-
nötige Härten vermieden werden können. Die
Welt der technischen Formen steht in der Natur
als eine fremde Welt; wo sie auftritt, wird die
Landschaft entzaubert. In diesem Sinne wird
der Ingenieur immer der unfreiwillige Feind der
Naturschönheiten bleiben, pkof. kari. widmer.

hans Beatus wieland. Haus Henkell. Teehaus im vertieften Garten.
 
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