NIKOLAI ROERICH. GEMÄLDE »VOR DEM REGEN«
RUSSISCHE KUNST.
Wir durchblättern die pompösen Hefte der
„Jar Ptitza", jener russischen Kunstzeit-
schrift, die in Deutschland erscheint, um die
Sehnsucht des über den ganzen Erdball ver-
streuten russischen Emigrantenheeres zu lin-
dern, seinem Weh nach dem verloren gegange-
nen Heim, dessen einen Teil die Kunst jener
Epoche bildete. Es geht also vornehmlich um
die Kunst der Vorkriegszeit und um die Welt,
die diese Kunst besingt.
Es handelt sich um die Gruppe des „Mir
Iskusstwa". Sie Impressionisten nennen, hieße
auf ihre Schwächen hinweisen und gerade das
Stärkste an ihnen verschweigen. Kaum jemand
von dieser Gruppe, jedenfalls niemand von den
Prominenten oder den auch im Ausland bekannt
Gewordenen darf diesen Namen im Sinne der
Franzosen tragen, kaum jemand befolgt die
Methoden der wirklichen „Impressionisten".
Bis auf die kleine Gruppe der Neo-Cezannisten
verschmähten es, scheint es, die russischen
Maler von jeher, die Malerei nur um der Ma-
lerei willen zu betreiben; sie waren alle irgend-
wie Ideenmaler, bestimmt von irgend einem
„literarischen" Zwang. Seien es die Genremaler,
seien es die politisch-bürgerlichen Tendenzmaler
vom Ende des vorigen Jahrhunderts, seien es
die Archäisten, die modernen Historienmaler
oder die extremen Theoretiker, die Konstruk-
tivisten, die Suprematisten. Sie hatten immer
den Kopf voll und das Herz übervoll, und ihre
Hände gehorchten meist mehr ihrer Dichter-
phantasie als ihrem Malerauge.
Ssomow, der in Deutschland geschätzteste
Maler Rußlands, der so zaubervolle Aquarelle
geschaffen, kultiviert und raffiniert in der Tech-
nik der Wasserfarben, führt bis auf den heutigen
Tag einen immer erbitterten, doch gleich un-
glücklichen Kampf mit dem Öl. Kustodjew, der
verliebte, unermüdliche Schilderer russischer
saftiger, üppiger Szenen aus dem Volks- und
Moskauer Kaufmannsleben, hat eine Mal weise,
die man barbarisch und roh nennen kann. Und
diese selbe Bezeichnung verdienen so manche
Russen, die trotzdem ganz ausgezeichnete und
interessante Künstler sind. Von Ilja Repin, dem
überragenden Haupt der „Wanderaussteller"
und Lehrer all der Mir-Iskusstwa-Leute, der ne-
ben hochanständig gemalten prachtvollen Kom-
positionen, klug, eindringlich und vertieft auf-
gefaßten Porträts — so manche ganz unbegreif-
liche „Schinken" zustande gebracht hat, die mit
unglaublicher Geschmacklosigkeit gemalt sind
— bis auf so manche, die erst in jüngster Zeit,
und sogar in Paris zu Ehren gekommen sind.
— Erfrischend und erquickend wirken, gerade
X*VI. April 1923. 1
RUSSISCHE KUNST.
Wir durchblättern die pompösen Hefte der
„Jar Ptitza", jener russischen Kunstzeit-
schrift, die in Deutschland erscheint, um die
Sehnsucht des über den ganzen Erdball ver-
streuten russischen Emigrantenheeres zu lin-
dern, seinem Weh nach dem verloren gegange-
nen Heim, dessen einen Teil die Kunst jener
Epoche bildete. Es geht also vornehmlich um
die Kunst der Vorkriegszeit und um die Welt,
die diese Kunst besingt.
Es handelt sich um die Gruppe des „Mir
Iskusstwa". Sie Impressionisten nennen, hieße
auf ihre Schwächen hinweisen und gerade das
Stärkste an ihnen verschweigen. Kaum jemand
von dieser Gruppe, jedenfalls niemand von den
Prominenten oder den auch im Ausland bekannt
Gewordenen darf diesen Namen im Sinne der
Franzosen tragen, kaum jemand befolgt die
Methoden der wirklichen „Impressionisten".
Bis auf die kleine Gruppe der Neo-Cezannisten
verschmähten es, scheint es, die russischen
Maler von jeher, die Malerei nur um der Ma-
lerei willen zu betreiben; sie waren alle irgend-
wie Ideenmaler, bestimmt von irgend einem
„literarischen" Zwang. Seien es die Genremaler,
seien es die politisch-bürgerlichen Tendenzmaler
vom Ende des vorigen Jahrhunderts, seien es
die Archäisten, die modernen Historienmaler
oder die extremen Theoretiker, die Konstruk-
tivisten, die Suprematisten. Sie hatten immer
den Kopf voll und das Herz übervoll, und ihre
Hände gehorchten meist mehr ihrer Dichter-
phantasie als ihrem Malerauge.
Ssomow, der in Deutschland geschätzteste
Maler Rußlands, der so zaubervolle Aquarelle
geschaffen, kultiviert und raffiniert in der Tech-
nik der Wasserfarben, führt bis auf den heutigen
Tag einen immer erbitterten, doch gleich un-
glücklichen Kampf mit dem Öl. Kustodjew, der
verliebte, unermüdliche Schilderer russischer
saftiger, üppiger Szenen aus dem Volks- und
Moskauer Kaufmannsleben, hat eine Mal weise,
die man barbarisch und roh nennen kann. Und
diese selbe Bezeichnung verdienen so manche
Russen, die trotzdem ganz ausgezeichnete und
interessante Künstler sind. Von Ilja Repin, dem
überragenden Haupt der „Wanderaussteller"
und Lehrer all der Mir-Iskusstwa-Leute, der ne-
ben hochanständig gemalten prachtvollen Kom-
positionen, klug, eindringlich und vertieft auf-
gefaßten Porträts — so manche ganz unbegreif-
liche „Schinken" zustande gebracht hat, die mit
unglaublicher Geschmacklosigkeit gemalt sind
— bis auf so manche, die erst in jüngster Zeit,
und sogar in Paris zu Ehren gekommen sind.
— Erfrischend und erquickend wirken, gerade
X*VI. April 1923. 1