Russische Kunst.
durch ihren „barbarischen" Ursprung und ihre
Ursprünglichkeit, in ihrer Farbenfreudigkeit und
durch ihren wirkungssicheren Farbensinn all
die dekorativen Maler, die stark in der natio-
nalen Volkskunst wurzelnd, von Lubock kom-
mend, scheinbar naiv und draufgängerisch sich
im Farbenrausch austoben. Dieser Natur, die-
ser Kraft verdanken die schönsten russischen
Bühnenbilder ihr Dasein.
Eine führende Rolle spielt hierin Natalia
Gontscharowa mit ihren ungemischten, flächig
aufgetragenen Orgien von Gelb, Orange, Zin-
nober, Rot, Blau, Grün, Violett. Unerschöpf-
lich, produktiv, humorvoll ist Ssudejkin, ver-
narrt in die russische Romantik und das rus-
sische Volksleben (ein ins üppig Russische,
Schaffensfreudige übersetzter Scheurich), mit
Behagen und Witz in zahllosen Kompositionen
sich austobend. Remisow, der hier gezeigt
wird, ist ein von Ssudejkin abhängiger, nach-
schaffender Künstler. Nikolaj Roerich, der in
Rußland, England und Amerika hochgeschätzte
Künstler, den man allenthalben als konzentriert
russischen Mystiker abgestempelt hat, ist, trotz
aller Farbigkeit und all der Bilder aus dem
vorgeschichtlichen Rußland, vielleicht viel mehr
Schwede, der er seiner Abstammung nach ist.
Das Eigensinnige, Verbohrte, Harte an ihm ist
germanisch, seine Farbe und Landschaft sieht
aus wie ein ewig unausgeträumter Traum vom
Nordlicht, von nordischen Riffen, eisiger Ein-
samkeit, der Sehnsucht nach kalter Glut voll.
Das Mystische an ihm ist mehr germanisch nor-
dische Sprödigkeit, ein ringender Wille, eine
atavistische Fremdheit in all dem, was er auf
dem russischen Boden mit seinem Geiste liebt,
um all das Nationale, das er in sein schweres
Blut aufnehmen möchte. Seine Bilder von den
von ihm so zäh geliebten Stätten der altrussi-
schen Baukunst, von all den stillen, schweren,
einhüllenden Kirchen zu Pskow, Uglitsch, Now-
gorod, erscheinenbei ihm zusammengekuschelt,
zusammengeschweißt, durch irgend einen Zwang
in sich zurückgezogen. Es ist, als hätte der
innerlich Fremde sich hierher geflüchtet und
die schweren gelben und weißen Mauern gleich
einem Mantel enger um sich gezogen. Und un-
willkürlich denkt man an einen andern russi-
schen Maler, den russischen Juden Marc Cha-
gall, der Bilder aus seiner Urheimat Witebsk
gemalt, dessen ihm so trauten Häuschen etwas
heiter Bewegliches haben, etwas Tänzelndes,
rhythmisch Witziges und etwas unendlich An-
heimelndes und Befreiendes.
Im Gegensatz zu dem innerlich gehemmten,
schwer kämpfenden Roerich ist der noch junge
Boris Grigorjew, ein Vollrusse, eine glück-
liche und augenscheinlich heitere Natur. Jeden-
falls bei aller Gewitztheit eine Natur. Auch er
müht sich um das Antlitz Rußlands. Jedoch
nicht gleich Roerich, der in Versunkenes sich
versenkt, sondern indem er die Aufgabe quasi
buchstäblich nimmt, indem er der Gestalt des
neuen Rußlands sozusagen ins Gesicht springt.
Durch eine solide Pariser Schule hindurchge-
gangen, ein gewiegter Könner (was man seinen
amüsanten und raffinierten Zeichnungen beson-
ders anmerkt), setzt er sich mit dem neuen
Rußland auseinander und spricht die Sprache
dieses erwachten Geschlechts. Ein hartes Ge-
sicht, noch verbittert, doch schon auf kräftigen
Füßen stehend, die Häßlichkeit von Traurigkeit
gemildert, harrend auf den kommenden ver-
edelnden Tag. Hinter all der expressionisti-
schen Handhabung, hinter all der Zerlegung
von Flächen, dem Hineinzirkeln von Dreieck-
chen zur Andeutung des Umfanges und aller
Brechung von Linien sieht man allzu deutlich,
daß Grigorjew ein vielgewandter russischer
Realist ist und den Typus des Neoakademikers
repräsentiert. Tatsächlich läßt ein neues Frauen-
porträt (die Herzogin von Leuchtenberg) darauf
schließen, daß er seine ganze, charakteristische
Art bereits aufgegeben und ganz glatt und
plastisch zu malen angefangen hat.
Zu den führenden neuen russischen Realisten
und Neoakademikern gehört neben Jakowlew
auch Wassili Schuchajew, von dem hier
drei Werke gezeigt werden. Schuchajew hat
da eingesetzt, wohin Grigorjew jetzt gelangt ist.
Ähnlich wie Jakowlew ist auch Schuchajew im
allerbesten Sinne Handwerker. Die peinliche
und zugleich liebevolle Mache (auch „Mache"
im besten Sinne!), das allem Experimentieren
und Suchen und Schieben Abholde, eine Un-
geistigkeit, etwas Barbareskes, etwas, was ge-
radezu an Stupidheit grenzt, das wirkt, alles in
Allem, als Totalität, als eine erfreuliche, gesunde
Reaktion gegen das Überhandnehmen von aller-
lei spitzfindig Geistigem und Scholastischem
und übersinnlich Un-sinnlichem in der Kunst.
Sie setzten da ein, wo die Tradition alter Mei-
ster unterbrochen worden ist, und wenn ein
Häuflein von französischen Malern, die es mit
der Angst bekommen haben, diese neuen Russen
in der französischen Öffentlichkeit dadurch zu
erledigen suchten, daß sie ein Manifest gegen
sie veröffentlichten, darin sie ihnen den Spitz-
namen „Germanographen" anhängten, so dür-
fen die Russen mit Stolz diesen Namen auf ihr
Banner setzen.
Allerdings, während Jakowlew nach dem Ver-
mächtnis alter Meister sachlich-handwerklich
bleibt, versucht Schuchajew Gedanken und
4
durch ihren „barbarischen" Ursprung und ihre
Ursprünglichkeit, in ihrer Farbenfreudigkeit und
durch ihren wirkungssicheren Farbensinn all
die dekorativen Maler, die stark in der natio-
nalen Volkskunst wurzelnd, von Lubock kom-
mend, scheinbar naiv und draufgängerisch sich
im Farbenrausch austoben. Dieser Natur, die-
ser Kraft verdanken die schönsten russischen
Bühnenbilder ihr Dasein.
Eine führende Rolle spielt hierin Natalia
Gontscharowa mit ihren ungemischten, flächig
aufgetragenen Orgien von Gelb, Orange, Zin-
nober, Rot, Blau, Grün, Violett. Unerschöpf-
lich, produktiv, humorvoll ist Ssudejkin, ver-
narrt in die russische Romantik und das rus-
sische Volksleben (ein ins üppig Russische,
Schaffensfreudige übersetzter Scheurich), mit
Behagen und Witz in zahllosen Kompositionen
sich austobend. Remisow, der hier gezeigt
wird, ist ein von Ssudejkin abhängiger, nach-
schaffender Künstler. Nikolaj Roerich, der in
Rußland, England und Amerika hochgeschätzte
Künstler, den man allenthalben als konzentriert
russischen Mystiker abgestempelt hat, ist, trotz
aller Farbigkeit und all der Bilder aus dem
vorgeschichtlichen Rußland, vielleicht viel mehr
Schwede, der er seiner Abstammung nach ist.
Das Eigensinnige, Verbohrte, Harte an ihm ist
germanisch, seine Farbe und Landschaft sieht
aus wie ein ewig unausgeträumter Traum vom
Nordlicht, von nordischen Riffen, eisiger Ein-
samkeit, der Sehnsucht nach kalter Glut voll.
Das Mystische an ihm ist mehr germanisch nor-
dische Sprödigkeit, ein ringender Wille, eine
atavistische Fremdheit in all dem, was er auf
dem russischen Boden mit seinem Geiste liebt,
um all das Nationale, das er in sein schweres
Blut aufnehmen möchte. Seine Bilder von den
von ihm so zäh geliebten Stätten der altrussi-
schen Baukunst, von all den stillen, schweren,
einhüllenden Kirchen zu Pskow, Uglitsch, Now-
gorod, erscheinenbei ihm zusammengekuschelt,
zusammengeschweißt, durch irgend einen Zwang
in sich zurückgezogen. Es ist, als hätte der
innerlich Fremde sich hierher geflüchtet und
die schweren gelben und weißen Mauern gleich
einem Mantel enger um sich gezogen. Und un-
willkürlich denkt man an einen andern russi-
schen Maler, den russischen Juden Marc Cha-
gall, der Bilder aus seiner Urheimat Witebsk
gemalt, dessen ihm so trauten Häuschen etwas
heiter Bewegliches haben, etwas Tänzelndes,
rhythmisch Witziges und etwas unendlich An-
heimelndes und Befreiendes.
Im Gegensatz zu dem innerlich gehemmten,
schwer kämpfenden Roerich ist der noch junge
Boris Grigorjew, ein Vollrusse, eine glück-
liche und augenscheinlich heitere Natur. Jeden-
falls bei aller Gewitztheit eine Natur. Auch er
müht sich um das Antlitz Rußlands. Jedoch
nicht gleich Roerich, der in Versunkenes sich
versenkt, sondern indem er die Aufgabe quasi
buchstäblich nimmt, indem er der Gestalt des
neuen Rußlands sozusagen ins Gesicht springt.
Durch eine solide Pariser Schule hindurchge-
gangen, ein gewiegter Könner (was man seinen
amüsanten und raffinierten Zeichnungen beson-
ders anmerkt), setzt er sich mit dem neuen
Rußland auseinander und spricht die Sprache
dieses erwachten Geschlechts. Ein hartes Ge-
sicht, noch verbittert, doch schon auf kräftigen
Füßen stehend, die Häßlichkeit von Traurigkeit
gemildert, harrend auf den kommenden ver-
edelnden Tag. Hinter all der expressionisti-
schen Handhabung, hinter all der Zerlegung
von Flächen, dem Hineinzirkeln von Dreieck-
chen zur Andeutung des Umfanges und aller
Brechung von Linien sieht man allzu deutlich,
daß Grigorjew ein vielgewandter russischer
Realist ist und den Typus des Neoakademikers
repräsentiert. Tatsächlich läßt ein neues Frauen-
porträt (die Herzogin von Leuchtenberg) darauf
schließen, daß er seine ganze, charakteristische
Art bereits aufgegeben und ganz glatt und
plastisch zu malen angefangen hat.
Zu den führenden neuen russischen Realisten
und Neoakademikern gehört neben Jakowlew
auch Wassili Schuchajew, von dem hier
drei Werke gezeigt werden. Schuchajew hat
da eingesetzt, wohin Grigorjew jetzt gelangt ist.
Ähnlich wie Jakowlew ist auch Schuchajew im
allerbesten Sinne Handwerker. Die peinliche
und zugleich liebevolle Mache (auch „Mache"
im besten Sinne!), das allem Experimentieren
und Suchen und Schieben Abholde, eine Un-
geistigkeit, etwas Barbareskes, etwas, was ge-
radezu an Stupidheit grenzt, das wirkt, alles in
Allem, als Totalität, als eine erfreuliche, gesunde
Reaktion gegen das Überhandnehmen von aller-
lei spitzfindig Geistigem und Scholastischem
und übersinnlich Un-sinnlichem in der Kunst.
Sie setzten da ein, wo die Tradition alter Mei-
ster unterbrochen worden ist, und wenn ein
Häuflein von französischen Malern, die es mit
der Angst bekommen haben, diese neuen Russen
in der französischen Öffentlichkeit dadurch zu
erledigen suchten, daß sie ein Manifest gegen
sie veröffentlichten, darin sie ihnen den Spitz-
namen „Germanographen" anhängten, so dür-
fen die Russen mit Stolz diesen Namen auf ihr
Banner setzen.
Allerdings, während Jakowlew nach dem Ver-
mächtnis alter Meister sachlich-handwerklich
bleibt, versucht Schuchajew Gedanken und
4