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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 52.1923

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Kurth, W.: Gemälde der italienischen Renaissance im Kaiser Friedrich-Museum zu Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.9145#0037

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Gemälde der italienischen Renaissance.

RAFFAEL. »MADONNA TERRANUOVA«

Landschaft die statuarische Kraft der Figur.
— Auch nach der Lagunenstadt Venedig drang
die Formauffassung Mantegna's. Von der Fa-
milie der Betlini hat in erster Zeit Giovanni
von der strengen Linienkunst jenes Meisters
sich beeinflussen lassen. Allein die plastische
Einheit der menschlichen Figur ist nie das
Hauptziel des künstlerischen Willens Venedigs
gewesen. Die Farbe trug ihr Empfinden in die
beweglichere und reichere Fülle der landschaft-
lichen Natur hinaus. Die Morgensonne, die
auf dem Auferstehungsbild (Abb. S. 31) am
kalten, tiefblauen Nachthimmel in rosa und gelb
aufgeht und erst die Spitzen der Burgtürme
streift, die in dem Braun der dunklen Berge ein-
gebettet sind, könnte im 19. Jahrhundert auch
von Segantini gemalt worden sein.

Von Raffaels frühen Arbeiten besitzt das
Museum vier Werke. In der MadonnaTerranuova
(Abb. S. 29) festigt sich das Formgefühl des
umbrischen Jünglings, der gerade 1503 in dem
bewegten Kunstleben Florenz neue Anregungen
empfangen hat, vornehmlich durch Leonardo,
dessen Madonna in der Felsgrotte er gesehen

haben muß, da die verkürzte Hand auf jenem
Bild vorkommt. Das Tondo, die Rundform des
Bildes, ist wundervoll durchkomponiert. Große,
milde, aber doch bestimmte und ausdrucksvolle
Kurven schwingen in diesem Kreis zu einer
Harmonie zusammen. Der Schmelz der Einzel-
bewegung, besonders in den Kindern, ist von
jener naiven Schönheit, die alle Jahrhunderte
immer wieder als fesselnd vor diesem Meister
empfunden haben. In der Madonna Colonna
(Abb. S. 28) ist der Rhythmus wie in einem
„Scherzo" mutwillig springend und biegsam.
Ein heller lachender Tag voll reinen Glücks.

Diese Freiheit der Menschengestaltung hatte
Leonardo da Vinci gelöst. Wie ein Bruder sei-
ner berühmten Mona Lisa mutet das schöne Bild-
nis eines jungen Mannes von Franciabigio aus
Florenz um 1520 an. Die Haltung ist von dersel-
ben bewußten Vornehmheit, von jener inneren
Sicherheit, die ein Zeichen jener großen Epoche
menschlicher Kultur, der Hochrenaissance, ist.
Wie Linien und Flächen zu einander stimmen
oder sich durch Gegensätze steigern, wie das
hängende Haar die Haltung des Kopfes betont
 
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