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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 52.1923

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https://doi.org/10.11588/diglit.9145#0186

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IVAN
MESTROVIC-
A G R A M.

■ »ENGEL«
KUPPEL-
KRÖNUNG. (39)

2

Alle Deutung ist letzten Endes ein Schließen
£\. von einem Äußeren auf ein Inneres, von
einem Sinnlichen auf ein Geistiges. Eine Sache
deuten, heißt ihr Inwendiges hervorkehren oder
herauslegen; daher das Wort „Auslegen". Man
deutet eine Handschrift, einen Traum, ein Er-
eignis, eine Physiognomie, indem man die geistige
Realität, die erfahrungsgemäß mit einer bestimm-
ten sinnlichen Realität verbunden ist, hervor-
kehrt. Werke der Kunst werden gedeutet, in-
dem man von Farben und Formen rückwärts
schließt auf die Gedanken und Erregungen, aus
denen sie physiognomisch hervorgegangen sind.

Eine solche Deutung ist an den Werken der
Kunst von jeher geübt worden. Denn schon in
dem Augenblick, wo man mit Worten über ein
Kunstwerk spricht, ist der Beginn seiner Aus-
deutung da. Nur haben sich im Laufe der Jahr-
tausende die Mittel, mit denen die Kunstdeutung

betrieben wird, unendlich verfeinert und er-
weitert. Die erste Kunstdeutung beginnt mit
einer Inhaltsangabe der Darstellung, etwa nach
Art der Beschreibung des Achilles-Schildes,
die sich bei Homer findet. Ein Schritt darüber
hinaus ist das Eingehen auf den allgemeinen
geistig-seelischen Ausdruck, der im Kunstwerk
hegt, das Feststellen eines bestimmten Ge-
schmackes oder einer bestimmten Note von
Temperament oder Empfindung. In neuester
Zeit nun ist die physiognomische Feinhörigkeit
und Erfahrung ganz bedeutend gestiegen. Es
werden aus dem Sinnlichen des Kunstwerks
nicht nur allgemeine Charaktereigenschaften
und große, beherrschende Gefühle erschlossen,
sondern ein ganzes seelisches Geschehen, die
tieferen geistigen Grundentscheidungen und die
spezielle Symbolik jedes einzelnen Werkes.
Die frühere Kunstdeutung wußte eigentlich nur
 
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