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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 52.1923

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Michel, Wilhelm: Das Kunstwerk als Organismus
DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.9145#0240

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Das Kunstwerk als Organismus.

auch die romantische Kunstanschauung beiseite
geschoben und durch ein teilweise viel minderes
Kunstdenken ersetzt haben. Aber in neuerer Zeit
ist die romantische Kunsttheorie wieder bloßge-
legt worden und hat, wenn nicht unserm Kunst-
schaffen, so doch unserm Kunstdenken einen halt-
baren Boden gegeben. Darnachsteht das Kunst-
werk als ein echtes „ Geschöpf" neben den andern
Geschöpfen, wie diese begabt mit dem einen
Funken göttlichen Lebens, der nur dann auf-
springt, wenn das Bewußtsein in die „fruchtbare
Dunkelheit" untergesunken und zum hilfreichen
Diener statt zum Herrscher geworden ist.

Der Fehler, den die romantische Praxis von
dieser Anschauung aus begangen hat, liegt darin,
daß sie anstelle des Bewußtseins schließlich ein
zügelloses Walten der Gefühle, Wallungen und
Reizempfindungen gesetzt hat, ohne zu bemer-
ken, daß dadurch das Kunstwerk doch endlich
wieder desorganisiert wird. Schaffen ist aber
weder Rausch noch Rechnen, sondern es kommt
aus einer neugeordneten, aber eben doch
höchst geordneten Seelenlage, die dem Be-
wußtsein nichts Schlimmeres antut, als daß sie
seine störenden Einwirkungen auf die göttliche
Zeugungskraft des Geistes ausschaltet. — w. m.
 
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