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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Ritter, H.: Zu den Gemälden von Albrecht Altdorfer
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0017

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ZU DEN GEMÄLDEN VON ALBRECHT ALTDORFER.

Am Bilde, das wir uns von einem Künstler
. machen, formen zunächst manche zufäl-
ligen Eindrücke. Bei jedem Besuch der Münch-
ner Alten Pinakothek trug man als junger Stu-
dent eine kleine Vorfreude mit sich; eine Vor-
freude auf die Waldlandschaft mit dem St. Georg
von Altdorf er, die klein und verschwiegen in
einem der reizenden Seitenkabinette hängt.
Einerlei, ob die Hauptabsicht des Besuches den
alten Deutschen oder den Spaniern oder den
Italienern galt: nie versäumte man, zum Ab-
schied diesem wunderlich lieblichen Bild einen
Blick herzhafter Lust und Bewunderung zu
gönnen. Da sah man hoch von oben in einen
herrlichen deutschen Wald hinein, der sich flach,
Ah g°belin?rtiä-an die Bildfläche herandrückte.
Aber was für Tiefen schwellenden Lebens lagen
dahinter! Wie viel Höhlen des Schattens, bunte
Lichtsprenkel, wie viel Stämme voll Laubge-
dräng, wie viel Fernen und Höhen, wie viel
herrliches, buntes Abenteuer, Schauer, Graus,
Lust und Lieblichkeit zu einem fröhlichen, küh-
len Leben untrennbar zusammengewirrt I Wie

fühlte man da die Natur und besonders den
Wald als das ewige, wunderreiche, geliebte
Abenteuer des deutschen Volkes! Wie wußte
da schon die Landschaft, trotz des spitzen Pin-
sels , zu singen und zu klingen, und wie fest
und sicher führte von diesem gemalten Gedicht
der Pfad durch die Jahrhunderte zur „Wald-
kapelle" Schwinds, zu den Waldliedern von
Eichendorff — diesen einzigen deutschen Men-
schen, die in unübersetzbarer Volkssprache den
Kernpunkt des deutschen Naturerlebnisses aus-
gesprochen haben I Man belauschte den win-
zigen St. Georg, der tief unten in diesem kühl-
grünen Gewühl ein lächerliches Nichts von Un-
getier, mehr Frosch als Drache, gelassen ab-
sticht : die Bäume so riesenhaft, der Mensch so
klein, der ganze heidenmäßige Vorgang so nied-
lich und zierlich, daß es schien, als könne dieser
Wald mit einem kleinen Atemholen den reisigen
Kriegsmann und Heiligen samt Roß und Unge-
tüm verschlucken. Da wußte man, hier sprudelte
deutsche Überlieferung, Frömmigkeit und Welt-
gefühl frisch aus der Quelle, ehrenfest und treu.

XXVII. April 1934. 1
 
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