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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Michel, Wilhelm: Der Gegenstand in der Malerei, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0209

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DER GEGENSTAND IN DER MALEREI.

VON W. MICHEL. (FORTS. AUS DEM MAIHEFT.)

Was an sittlicher Qualität, an religiösem Wis-
sen und geistiger Vorbereitung von dem
hinduistischen Bildner (dem „Silpan") verlangt
wurde, schildern indische Quellen wie folgt:
„Der Silpan muß den Atharva Veda, die 32 Silpa
Sastras (Anweisungen für Künstler) und die
oedischen Mantra kennen, womit die Götter
angerufen werden. Er muß einer von jenen
sein, die die heilige Schnur tragen, ein Halsband
aus geweihten Körnern und einem Ring aus
Kusa-Gras am Finger. Wer seine Wonne in
der Anbetung Gottes findet, seiner Gattin treu
ist, fremder Frauen sich enthält und fromm die
Kenntnis der verschiedenen Wissenschaften
sich erwirbt: ein solcher ist wahrhaft ein Künst-
ler. . . Der Maler muß ein tugendhafter Mensch
sein, weder träge noch dem Zorn ergeben;
heilig, kenntnisreich, Herr seiner selbst, fromm
und mildtätig, so muß sein Wesen sein." Und
wenn die Vorschrift hinzufügt, daß der Künstler
in der Einsamkeit oder höchstens in Gegenwart
eines andern Künstlers arbeiten muß, niemals
aber in Gegenwart eines Laien, so läßt das an
die Vorschrift des chinesischen Malers Kuo Hsi
(11. Jahrh.) oder an die Bemerkung Cezannes

denken: „Nie habe ich jemandem erlaubt, mir
bei der Arbeit zuzusehen; ich lehne es ab, in Ge-
genwart eines Dritten irgend etwas zu machen."

Fügen wir noch an, daß dieses strenge Ritual,
dem der Künstler unterworfen wurde, in Indien
zu ganz ähnlichen Folgen in Bezug auf die so-
ziale Stellung des Künstlers führte, wie im eu-
ropäischen Mittelalter. Der Künstler und Kunst-
handwerker hatte einen festen Platz unter der
Form eines lebenslangen Vertrags oder vielmehr
einer erblichen Funktion. Von Kind auf war er
Schüler seines Vaters und wuchs in den väter-
lichen Beruf hinein. Er war Glied einer Gilde,
und die Gilden wurden vom König anerkannt
und beschirmt. Er war auch geschützt gegen
Wettbewerb und Preisschwankungen. Dazu die
Vorschrift: „Wenn irgend ein Andrer außer
einem „Silpan" Städte, Seehäfen, Zisternen oder
Brunnen baut, so ist das ein Verbrechen, ver-
gleichbar dem eines Mordes." Ähnliche Ein-
richtungen, Gilden, erbliche Privilegien, Zwangs-
und Bannrechte usw. sind, wie gesagt, auch auf
europäischem Boden erwachsen. Sie ergeben
sich zwangsläufig aus den ganz bestimmten An-
forderungen, die an den Künstler gestellt wur-
 
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