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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Pechmann, Günther von: Ein Dokument deutschen Formwillens
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0357

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ENTWURF:
PROFESSOR
HILLERBRAND.
»SPIEGEL«

EIN DOKUMENT DEUTSCHEN FORMWILLENS.

Als die Handelsflagge des deutschen Reiches
JT\ zum erstenmale in den Häfen des Welt-
verkehrs erschien, da zeigten die Erzeugnisse
deutschen Gewerbefleißes die Formen der
deutschen Renaissance. Man konnte für diese
„Mode" geltend machen, daß sie an der For-
menwelt des alten Reiches anzuknüpfen suchte.
Aber da diese Anknüpfung ganz äußerlich war,
wurde man ihrer bald überdrüssig. In den acht-
ziger Jahren bevorzugte man Barock und Ro-
koko, ohne auf andere Stilnachahmungen zu
verzichten. Ungehört waren die Worte Nietz-
sches verhallt, der 1873 seinen Zeitgenossen
in den „Unzeitgemäßen Betrachtungen" vorge-
halten hatte, „Kultur sei vor allem Einheit des
künstlerischen Stiles in allen Lebensäußerungen
eines Volkes. Viel wissen und gelernt haben
sei aber weder ein notwendiges Mittel der
Kultur, noch ein Zeichen derselben und ver-
trage sich nötigenfalls auf das beste mit dem
Gegensatz der Kultur, der Barbarei, d. h. der
Stillosigkeit oder dem chaotischen Durchein-

ander aller Stile, in welchem der Deutsche
dieser Zeit lebe." Noch 10 Jahre später er-
klärte der Direktor des Straßburger Kunstge-
werbemuseums befriedigt, „der Deutsche habe
zwar keinen Stil, aber er handhabe die Stile;
das sei zweifellos ein Vorzug, denn wer Vieles
bringe, bringe jedem etwas." So dachten auch
die deutschen Unternehmer, und als im letzten
Jahrzehnt des vorigen Jahrhunderts Maler,
Bildhauer und Architekten sich gegen die Stil-
sklaverei wandten und dem deutschen Kunst-
gewerbe neue und eigene Wege zu weisen
suchten, da fanden sie zunächst bei den Ge-
werbetreibenden und Industriellen wenig Ver-
ständnis für ihre Forderungen.

Man kann sich heute, da das neue deutsche
Kunstgewerbe ein selbstverständlicher Besitz
der Nation geworden ist, kaum vergegenwär-
tigen, daß es vor 25 Jahren ein sehr großes
Wagnis war, mit einigen revolutionären Künst-
lern ein gewerbliches Unternehmen zu begrün-
den, und in diesem Gewerbebetrieb noch dazu

XXVII. September 1924. 5
 
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