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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Osborn, Max: Karl Schenker, der Maler und Photograph
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0287

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KARL SCHENKER, DER MALER UND PHOTOGRAPH.

VON MAX OSBORN.

Der Begriff der künstlerischen Photographie
hat sich nun seit geraumer Zeit schon ge-
klärt. Man hat den Ehrgeiz überwunden, mit
den Mitteln der Kamera, des Kopierens, der
Retoucbe, der Gummidrucke und ähnlicher Ver-
schmitztheiten Blätter herzustellen, die wie Ra-
dierungen oder Lithographien, Erzeugnisse der
Aquatinta-Technik oder gar wie Handzeich-
nungen aussehen. Man steht heute treu zu dem
Gesetz, daß keine Arbeit der Menschenhand
eine andere vortäuschen soll, daß jede vielmehr
sich streng an die Voraussetzungen zu halten
hat, aus denen sie hervorgegangen ist. Photo-
graphie ist mechanische Reproduktion — das
darf sie nicht verheimlichen. Es ist ihr Amt,
wahrheitsgetreue Dokumente zu liefern. Ihre
Tätigkeit erschöpft sich in einem „objektiven
Verfahren", und das Subjekt des Photographen
soll sich nicht in den Vordergrund drängen.

Das alles, wie gesagt, hat man erkannt. Die
Vertreter und Bannerträger der künstlerischen
Photographie sind redliche Diener ihrer Maschine
geworden. Was sie suchen, ist Wiedergabe,
nicht Variante der Wirklichkeit, nicht Graphik-
Ersatz. Aber je enger man sich an diese natür-
lichen Pflichten bindet, umso weiter öffnen sich
nun doch wieder hundert andere Möglichkeiten,
der Arbeit persönlichen Stempel zu verleihen.
Ich soll nur das festhalten, was die Natur spricht ?
Aber spricht sie denn über den gleichenMenschen
immer dieselben Worte? Ist das, was sie über
dasselbe Thema sagt, nicht oft gleichgültig hin-
geworfen, oft geradezu irreführend, und nur in
seltenen und glücklichen Augenblicken wahrhaft
bezeichnend und erschöpfend? Hier,Photograph,
sitzt dein erstes Gebot: solche Augenblicke zu
erhaschen. Dann geht es weiter. Du kannst diese
Mitteilungen der Natur unterstreichen, ohne sie
umzubiegen oder zu fälschen — kannst Licht
und Schatten so dirigieren, daß sie alle charak-
teristischen Züge tiefer erkennen lassen, daß
das photographische Bild, eben indem es jene
flüchtigen Momente für die Dauer festhält, mehr
gibt als die Natur und d ich Natur bleibt.

Karl Schenker in Berlin war von jeher in
diesen Künsten ein Meister. Als er aus seiner
österreichischen Heimat in die deutsche Haupt-
stadt kam, befanden wir uns gerade in der
Hochflut der über die Ufer getretenen Subjek-
tivität beim Lichtbild. Der junge Künstler durch-
schaute schnell die Gefahren, die dort lauerten,
und brachte der Zeitströmung nur wenige Opfer,

um sich bald aus natürlichem Gefühl auf den
richtigen Weg durchzufinden. Er war von Hause
aus viel zu sehr im schönsten Sinne handwerk-
lich gesinnt, um zu vergessen, was er dem
Apparat, mit dem er arbeitete, schuldig war.
Schenker brachte zu seinem Beruf vorzügliche
und ungewöhnliche Eigenschaften mit. Er ist
ein ruhiger, stiller Beobachter, der mit seinen
sanften Augen ungemein feinfühlig in das Wesen
von Menschen und Menschlichkeiten zu dringen
weiß. Er ist in einer alten und reifen Kultur
aufgewachsen, die ihm ein zartes, etwas weiches,
aber nicht verzärteltes Verständnis für seelische
Geheimnisse mit auf den Weg gab. So ward er der
geborene Photograph für die Angehörigen einer
verfeinerten, gepflegten Gesellschaftsschicht —
und zumal der geborene Photograph für die
Frauen dieser Sphäre. Er kennt die stumme
Träumerei, die verhaltene Sehnsucht blüten-
haf ter Geschöpfe, den holden sinnlichen Zauber,
der sie umschwebt. Er kennt die Grazie und
den Adel ihrer Bewegungen. Es ist immer et-
was Verliebtheit in diesen Aufnahmen, eine
ehrfurchtsvolle und keusche Verliebtheit, die
sich ritterlich vor der Schönheit der Dargestellten
neigt. Schenker weiß, wie fein sich aus dem
weißen Kragen einer Taille der Kopf einer
jungen Brünette heraushebt, wie der helle Schim-
mer eines blonden Hauptes noch leuchtender
wird, wenn man ihn gegen den Kontrast eines
tiefdunklen Kostüms stellt, und er arrangiert
selbst die Toiletten seiner Modelle als ein
empfindsamer Kleiderpoet. Er weiß als ein Ken-
ner, wie viele Aufschlüsse über ein Menschen-
wesen die Hände geben können, und er benutzt
voll Zartgelühl dies ausdrucksvolle, nervöse
Begleitspiel der Gesichter.

So kann nur einer der Kamera sich bedienen,
der selbst auch ein heimlicher Maler ist. Aber
während sonst die besten Künstlerphotographen
meist dazu verdammt sind, „ Raff aels ohne Arme"
zu bleiben, war die freie malerische Begabung
in Sjhenker stark genug, um sich selbständig
durchzusetzen. Vermutlich lag hier übeihaupt
der Ausgangspunkt seiner Laufbahn. Künst-
lerisches Talent erwachte, tummelte sich, war
aber selbstkritisch genug, um sich für ein ganzes
Leben nicht lediglich auf sich allein zu verlassen,
und sattelte fröhlich zum edlen Kunsthandwerk
der Photographie um. Dann aber machten sich
die frühen Neigungen wieder bemerkbar, und
in den letzten Jahren überraschte der von den
 
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