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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Osborn, Max: Karl Schenker, der Maler und Photograph
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0288

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Karl Schenker, der Maler lind Photograph.

Wellen erfreulicher Erfolge getragene Photo-
graph durch die Porträtzeichnungen, die in
wachsender Zahl aus seinem Atelier hervor-
gingen und in Berlin sich rasch Beliebtheit er-
warben. Die Proben, die dies Heft darbietet,
geben einen Begriff von dem eigenartigen Aus-
druck, den Schenker sich dabei geschaffen hat.

Es ist merkwürdig, wie oft die individuelle
Entwicklung eines Talents mit der Zeitströmung
zusammentrifft. Seit Jahren hören wir, daß die
subjektive Formgebung, die zuerst der Impres-
sionismus eingeführt, und die dann der Expres-
sionismus bis auf die äußerste Spitze getrieben
hatte, in manchen künstlerischen Kreisen wieder
einer ruhigen Sachlichkeit zu weichen beginnt.
In Paris, wo alle modernen Bewegungen zuerst
ihre Kraft erprobten, erfolgte auch dieser Um-
schwung zuerst. Man hörte das Schlagwort:
Zurück zu Ingres! Zurück zu der sauberen
Strichführung dieses Meisters, in dessen Werken
der französische Klassizismus einst ausklang.

Karl Schenker schuf, ganz gewiß ohne dabei
nach der neuen Pariser Mode zu schielen, seine
Bildniszeichnungen. Er kam von der Photo-
graphie — also war ihm die Treue zur Natur
geläufig. Aber da er olfenbar gerade einen
Gegensatz zu der Vortragsart der Photographie
suchte, gelangte er ganz natürlich dazu, nun
mit sparsamsten Mitteln zu wirtschaften, die
Flächen mehr zu umreißen als zu füllen, durch
ein „ Nicht allessagen" besondere Wirkungen an-
zustreben und anstelle der weichen Schatten-
massen, die für den Eindruck des Lichtbildes
so bedeutungsvoll sind, eine zarte Helligkeit zu
setzen, in der das gezeichnete Menschenbild in
eine ätherisch - lichte Luftschicht übertragen
scheint. Und ehe er sich versah, war er auf eigne
Art zu einer zeichnerischen Formgebung gekom-
men,die mit der Kunstübung von vor hundert Jah-
ren eine merkwürdige Verwandtschaft aufweist.

Dennochbleibt den Arbeiten ein durchausmo-
dernes Gepräge gewahrt. Was zur klassizistisch-
biedermeierischen Zeit naiv war, erscheint hier
aus einem Raffinement des Gefühls entstanden,
das ein Gewächs unserer Zeit ist. Nicht aus
einer ästhetischen Künstelei, sondern aus der be-
wußten Absicht, über das Komplizierte und
Ekstatische wieder zur Einfachheit zurückzu-
kehren. Zugleich wurde so ein Weg gesucht,
auch die äußere Schönheit wieder zum Worte
zu verstatten. Es gibt heute so wenig Künstler,
die einen hübschen oder pikanten Frauenkopf
oder eine „mondaine" Dame mit ihrer Atmo-
sphäre in erträglicher Weise wiederzugeben
wissen. Schenker wollte, nicht anspruchsvoll,
ganz leise nur, in diese Lücke eindringen. —
Er hat sich für solche Bildnisse eine besondere

Technik gebildet. Er zeichnet am liebsten mit
Rötel oder mit anderen Buntstiften von ge-
dämpfter Tönung. Auch der Bleistift spricht mit.
Sodann geht er gern mit nassem Pinsel behut-
sam über die Farbschichten, sodaß Wirkungen
wie beim Aquarell herauskommen. Die Stifte
werden dabei ganz fein angespitzt. Alles soll
in reinlicher Klarheit strahlen. Dabei werden
sorgsam farbige Akkorde zusammengesetzt.
Ein paar Beispiele dafür. Das Porträt der Frau
S. zeigt im Kleide blasse blaugrüne Töne, zu
denen das zarte Rosa des Gesichts und des
Halsausschnitts überaus sorgsam abgestimmt
sind. Das angedeutete Graugrün der Augen
läßt die Farben des Kleides im Antlitz wieder
anklingen. Wie immer ist der Kopf mit beson-
derer Sorgfalt durchgebildet, während der Kör-
per hauptsächlich in Umrissen gehalten ist. Man
denkt mitunter von fern an die Manier der eng-
lischen Präraffaeliten. Das Bild der Frau Engers
rückt diesem Vergleich besonders nahe. Hier
tritt sogar das mit wollüstiger Freude hervor-
gehobene reiche Haar und das charakteristische
Präraffaelitenmäulchenauf. Die ausdrucksvollen
Nachzeichnungen und rötlicheTönung der Lippen
kehrt auch sonst wieder. Schenkermußübrigens
darauf Acht haben, daß er in diesen „verlocken-
den" Mündern nicht zu einem Schema kommt.
Außerordentlich fein ist auch bei jenem Bilde
der Frau Engers die farbige Durchführung. Die
vollen Haare rötlich, die Augen von blaugrün-
lichem Schimmer. Dazu die ganz leicht hinge-
setzten Konturen des Kleides grünlich, die Hand,
die lässig von der Stuhllehne herabhängt, wieder
rötlich umrissen, um eine Korresponsion mit
dem Antlitz zu geben, und der Ring wieder als
grüner Punkt. So schließt sich alles zu einem
klug abgewogenen Zweiklang zusammen.

Das Wesentliche aber bleibt natürlich der Aus-
diuck dieser verschiedenartigen Köpfe. Jeder
erzählt eine ganze Geschichte, jeder läßt in die
Rätsel eines anderen Charakters blicken. Deut-
lich spürt man die Freude, mit der Schenker das
Entscheidende auswählt, oft mit betonter Spar-
samkeit wirklich alles fortläßt, was nicht unbe-
dingt zurErf üllung desZwecks notwendig scheint.

In allen diesen Arbeiten aber, Photographien
wie Farbzeichnungen, so verschieden sie sich
darstellen, erkennen wir die gleiche Persönlich-
keit, die mit inniger und zäher Hingabe das
Wesen der menschlichen Erscheinung in sich
aufzunehmen und je nach den technischen
Mitteln, die gewählt wurden, auszudrücken
strebt. Überall bemerken wir eine kultivierte
Hand, die am Werke war, die sympathische
Bescheidenheit eines künstlerischen Menschen,
der hinter seinem Werke zurücktritt. ... m. o.

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