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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Barchan, Pawel: Chana Orlowa
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0299

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CHANA ORLOWA.

Chana Orlowa ist Jüdin. — Sie selber scheint
auf diese Tatsache besonderes Gewicht zu
legen. Und doch ist das Semitentum des russi-
schen Juden eine recht problematische Ange-
legenheit. Allzusehr haben sie sich im Laufe der
Jahrhunderte mit den russischen Volksstämmen
vermischt, ganz zu schweigen von dem Über-
tritt ganzer russischer Gemeinden zum Juden-
tum. Lehrreich hierfür sind die Typen und Cha-
raktere der russischen Juden. Und ein Blick auf
das Bild der Orlowa genügt, um auszurufen:
„Das ist ja ein russisches Bauernmütterchen!"

Daß es eine jüdische Kunst nicht gibt, das
weiß die Künstlerin wohl selber; hat auch nie
um jüdische Sujets sich gemüht. Das Geschlecht
der jüdischen Künstler in Rußland ist erst ganz
jungen Datums, spielen sie in der Kunst dieses
Landes nun auch eine große Rolle.

Chana Orlowa, in der Ukraine gebürtig, lebte
fünf Jahre lang in Palästina, geriet dann nach
Paris, wo erst die Schaffenskraft und das Be-
wußtsein und der Wille zur Kunst in ihr erwachte.

Und ist französische Schulung an ihr auch
unverkennbar, so kommt sie dennoch irgendwie

vom „Kustartum" her, von der Volkskunst des
russischen Bauernheims. Das unbeirrbar sichere
Gefühl für das architektonisch Plastische, noch
mehr aber die sinnliche, warme, so ganz unmit-
telbare Empfindung für das Material, vornehm-
lich für das Holz — das ist Erbe ihrer Heimat.

Es ist gleichsam eine Verwandtschaft, etwas
wie ein organischer Zusammenhang im russi-
schen Volkstum mit dem Holz. Angefangen
mit ihren Bauernhütten und Baumstämmen und
den wundervollen Holzkirchen im hohen Nor-
den, deren Architektur so phantastisch und zu-
gleich wie selbstverständlich in die Silhouetten
der Tannen und Fichten hineinkomponiert sind;
bis zu ihren Holzschnitzereien und Puppen und
Tieren, Tellern und Schüsseln, bei denen stets
der Charakter des Materials gewahrt bleibt und
die Ausdrucksfähigkeit des Holzes nie verge-
waltigt wird; bis zu den feinpolierten Wurzel-
holzdosen, in denen so viel Sinn für Maß, We-
senheit, Nützlichkeit sich offenbart, — ein Ent-
zücken für Auge und Hand.

In solcher Liebe und Intimität dem Holze
gegenüber besteht die Primitivität der Orlow-

XXVII. August 1924. 6
 
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