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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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H. O. R.: Münchner Glaspalast 1924
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0321

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PROFESSOR ADOLF HENGELER.

OKMAI.DK »AUF DER FLUCHT

MÜNCHNER GLASPALAST 1924.

Die großen Hallen sind wieder gefüllt. Der
Glaspalast, dessen zartes, dabei konstruk-
tives Eisengerüst eine der Hauptleistungen
früher deutscher Sachlichkeitsbauten darstellt,
wird als Architektur immer mehr Schätzung ge-
winnen, je mehr wir von übertreibender Wucht
zu werkmäßiger Feingliedrigkeit zurück-
kehren. Er liegt heute, etwa von der Elisen-
straße her gesehen, unserem Empfinden weit
näher als die beiden links davon gelagerten
historisierenden Gerichtsgebäude. Wenn es
nicht aus praktischen Gründen unumgänglich
nötig ist, so sollte uns dieser Bau, den ein geeig-
neter Anstrich heben könnte, keinesfalls genom-
men werden. Hat man doch vor kurzem erst
den Wechsel der Anschauungen erfahren: Die
Ludwigstraße, die im 19. Jahrhundert als Inbe-
griff der Steifheit und Härte geschmäht wurde,
gilt heute als die schönste Straße Europas.

Es liegt wieder eine Jahresschau vorwie-
gend süddeutscher Kunst vor. Da beinah alle
heute denkbaren Gruppen aufgenommen wur-
den, war Minderes nicht zu vermeiden. Im
ganzen aber kann man sagen, das Gesamt-
niveau braucht nirgends dasjenige entsprechen-
der Veranstaltungen anderer Länder zu scheuen.

Für die deutsche Architektur, am meisten aber
das Kunstgewerbe, das am durchgehendsten
befriedigt, weniger für die deutsche Plastik
kann man feststellen: Das Geschmacksniveau,
das sich in der letzten Generation ersichtlich
gehoben hat, überragt den Durchschnitt
andrer europäischer Länder. Überall, wo Ge-
schmack entscheidet, sind wir im Aufstieg.
Da „Geschmack" besonders bei Gebrauchs-
gegenständen des Lebens beherrschendes Ziel
ist (in der Malerei kommt es auf mehr an), sollte
weniger gemalt und mehr Handwerk, Herstel-
lung guter Werkgegenstände getrieben werden,
weshalb die Münchner Kunstschulreform nach
dieser Richtung hätte verlaufen müssen. Ob
in Zukunft Malerei und freie Plastik im bürger-
lichen Hause überhaupt so breiten Raum ein-
nehmen werden, ist heute viel erörterte Frage.
Wir werden vielleicht, wie etwa die Japaner in
den Wohnräumen immer mehr Wert auf guten
Gesamtschnitt und tadellose Färbung der
Wände legen und immer weniger auf die be-
weglichen Kunst-Stücke der Bilder ausgehen.

Bleibt man aber noch einige Zeit auf dem Bo-
den alter Anschauung, die mehr von den schö-
nen Knöpfen des Anzugs als von dessen Gesamt-

en. September 19S1.1
 
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