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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 54.1924

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Michel, Wilhelm: Wiederkehr des Ideals, [1]: auf dem Wege zu einer neuen Ästhetik?
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https://doi.org/10.11588/diglit.8536#0380

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Wiederkehr des Ideals.

E. WENZ-VIETOR, V. WERSIN, PROF. A. NIEMEYER. »LACKAR15EITEN«

„Schönheit kommt nicht aus dem Gegenstand
des Kunstwerks, sondern aus der Notwendig-
keit, die der Künstler empfand, gerade diesen
Gegenstand zu behandeln." Alle diese Gegen-
überstellungen alterund neuerer Kunstanschau-
ungen laufen darauf hinaus, daß sich in den
letzteren das Schwergewicht des ästhetischen
Ereignisses entschieden in den beteiligten Men-
schen, den Künstler und den Empfangenden,
verlegt. Wobei hier gänzlich außer Frage blei-
ben möge, wie es mit der „Richtigkeit" der
verschiedenen Anschauungen beschaffen ist.
Auf jeden Fall ist es Relativismus, was das
moderne Kunstdenken bestimmt. Und dieser
Relativismus endigt, da er nur noch die seel-
ischen Abläufe in den beteiligten Menschen in
Betracht zieht, bei einem sehr weit getriebenen
Psychologismus. Psychologie ist das End- und
Zentral-Interesse aller relativistischen Zeiten.
Epochen mit der Einstellung auf einen objek-
tiven ästhetischen Höchstwert erörtern mit
Eifer die Frage nach der höchsten, nach der
wahren Kunst. Für uns Söhne eines relativi-
stischen Zeitalters hat diese Frage keinen Sinn.
Denn sie hat keinen Gegenstand. Wir müssen
sie beantworten etwa in der Weise, daß wir
mit dem scharfsinnigen und mutigen Hermann

Nohl sagen: Es gibt keine höchste, keine wahre
Kunst, es gibt keinen Endwert; wohl aber gibt
es mehrere, ganz scharf unterschiedene Typen
von künstlerischen Weltanschauungen, die
nichts mit einander gemein haben und die auf
keinen Fall an einander gemessen werden dür-
fen. Zwischen dem Idealisten, demPantheisten
und demNaturalisten bestehen Artunterschiede,
aber keine Wertunterschiede. Der Begriff eines
objektiv bestimmbaren Endwertes, des Ideals,
ist abzulehnen.

Dies etwa entspricht der Stellung, die wir
heute unserm Problem gegenüber einnehmen.
Es ist keine Frage, daß dieser moderne Rela-
tivismus der Vielfältigkeit der künstlerischen
Erscheinungen in einem seltenen Maße gerecht
wird. Da er mit einem absoluten Ideal nicht
belastet ist, kann er sich auf alle in der Kunst
vertretenen Weltanschauungen grenzenlos ein-
lassen. Er kann ihr Lebensrecht gelassen und
verständnisvoll anerkennen, er braucht an ihren
Zwistigkeiten nicht teilzunehmen.

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Nun aber kehrt sich eine andere, eine dunkle
Seite der hier skizzierten Entwicklung dem
Blick zu. Nachdem unter uns das relativistische
Denken Boden gewonnen und nahezu die Allein-
 
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