Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten (54.1924)

Wiederkehr des Ideals.

erdenfremde Schweben der gelockerten Phan-
tasie, noch vertiefte Empfindung oder berei-
cherte Erfahrung ihr letztes Ziel sind. Wir
können mit Schiller sagen, daß es die Kunst
nicht auf ein vorübergehendes Spiel abgesehen
hat. Vielmehr ist es ihr „ernst damit, den
Menschen nicht bloß in einen augenblicklichen
Traum von Freiheit zu versetzen, sondern ihn
wirklich und in der Tat freizumachen, und dieses
dadurch, daß sie eine Kraft in ihm erweckt, übt
und ausbildet, die sinnliche Welt, die sonst nur
als ein roher Stoff auf uns lastet, ... in ein
freies Werk unsres Geistes zu verwandeln und
das Materielle durch Ideen zu beherrschen."

So enthält der künstlerische Höchstwert auf
jeden Fall eine Reihe von Merkmalen, die sich

objektiv feststellen, wenn auch keineswegs
willentlich oder gar bewegungsmäßig erringen
lassen. Wir finden in ihm die Wahrheit der
sinnlichen Erfahrung, die absolute ideelleDurch-
wirkung, die vollkommene Objektivität und
Selbständigkeit der Gestalt, die Liebe, die Ge-
meinschaft, die lebendige Wirksamkeit auf den
Beschauer, die Überwindung des bloßen Sub-
jekts die äußerste Aktivität, die frömmste,
gläubigste Hingabe an das Objektive, den un-
eingeschränkten Sieg des Geistes.

Vom Blickpunkt dieses Ideals aus tritt das
Himmlische der Raffael'schen Kunst wieder ins
Licht, dazu die strahlende Heiterkeit eines
Mozart und die grenzenlos wahre, geisthelle
Welt eines Goethe........ wilhelm micbel.

W. V. WERSIN. »RASIERTISCHE« DEUTSCHE WERKSTÄTTEN A.-G