Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 70.1932

DOI Artikel:
Dreyfus, Albert: Der Bildhauer Maillol
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7201#0033

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
AR1STIDE MAILLOL —MARLY LE ROI

»STERBENDER KRIEGER«

DER BILDHAUER MAILLOL

VON ALBERT DREYFUS

Aristide Maillol ist siebzig Jahre alt geworden.
Seine Leistung läßt sich übersehen, seine
Geltung ist unbestreitbar geworden. In ihrer
Gesamtheit bilden seine Werke, die in lang-
samer Arbeit entstanden sind, nicht sehr zahl-
reich, aber immer eines aus dem anderen ent-
wickelt, eines das andere ergänzend, überstei-
gernd, einen Block. Unangreifbar ist dieser
in seiner Klarheit und Abgerundetheit.

Nachhaltiger als Bourdelle hat sich Maillol
neben und nach Rodin als festumrissene Per-
sönlichkeit durchgesetzt. Auch gegen ihn: Mail-
lols Wesen ist nicht hinreißendes, abreißendes
Blühen, sondern Auswachsenlassen zur reifen
süßen Frucht; Rodin seziert, zieht hervor, iso-
liert, spitzt zu, verewigt das Einmalige; Maillol
distanziert, ballt zusammen, schwillt, schwebt.
Seine Erregbarkeit ist keine geringere, nur ver-
wertet er sie anders wie Rodin; er überläßt
sich ihr nicht, der Funke wird Dauer, wird
Wärme: mit seinen herrlichen nervösen Hän-
den gestaltet Maillol — Frieden.

Rodin ist der nächtliche, abgründige Gotiker,
der in der Materie befangen ist, sich von ihr
loskämpft, Maillol ist der taghelle, ebenso weit

XXXV. April 1932. 3.

von Sünde wie von Erlösung entfernte, die Ent-
spannung und das Gleichgewicht leidenschaft-
lich liebende Hellene. Oberflächliche Betrach-
ter sehen in Maillol einen bloßen Nachahmer
der Griechen. Nein, er wird, wenn es auch ein
Wunder unserer Zeit ist, aus gleichen Quellen
gespeist, wie ein Plato oder der Schöpfer der
Olympiaskulpturen. Maillol war selbst in Grie-
chenland, und kein Werk hat ihn vielleicht
mehr beeindruckt als der im Giebelfeld des
olympischen Zeustempels den Arm ausstrek-
kende Apollo. Aber dieser Streitschlichter, ruhig
inmitten wildesten Gewoges, ist nicht Maillols
künstlerischesVorbild,sondern sein eigener Gott.

Nicht anders wie bei den Griechen, ist Mail-
lols Verhältnis zur Natur. Ich habe den Künst-
ler nur einmal verzagt gesehen. Das war nach
einem Winter, in dem er, langjähriges Ver-
sprechen einlösend, einen Freund porträtierte.
Etwas ähnlich machen zu wollen oder zu müssen
bedeutet für ihn Zerstörung. Die Vision muß
autonom bleiben. Oft war es mir vergönnt,
einen Blick in Maillols Marlyer Werkstatt zu
tun, seine Mappen mit den hunderten von Akt-
zeichnungen durchzublättern. „Dieses Blatt", er-
 
Annotationen