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THEO CHAMPION-DÜSSELDORF
GEMÄLDE »DIE POST«
»SINNLOSIGKEIT« DER KUNST
VON DR. OSKAR SCHÜRER
Jüngst wurden in nachdrücklicher und über-
zeugender Weise Besinnungen laut, welche
die wichtige Funktion der Kunst innerhalb
unseres Lebensgefüges betonten. In Zeiten, da
das Leben selbstverständlich und aus seiner
Fülle dahinströmt, wären solche Besinnungen
unmöglich, da vollkommen unnötig. Erst der
Bruch im gesamten Lebensgefüge einer Zeit,
die immer offenkundiger werdende Fragwürdig-
keit der ihm zugrunde liegenden Überzeugungen
und Bewußtseinsinhalte läßt es überhaupt erst
zu solchen Überlegungen, die retten sollen,
kommen. Heute tut es dringend not, immer
wieder zu rufen: Kunst ist nicht Luxus
und Außenseitertum, Kunst ist exi-
stentielle Funktion lebendigen Da-
seins, ohne die das Leben verdorrt ebenso
wie unterm Mangel ökonomischer Existenz-
bedingungen. Wer aber wird dieWarnung hören?
Und wer sie hört: wie wird er sie verstehen?
Je mehr man den Zusammenhang von Kunst
und allgemeinem Lebenskomplex betont, umso
mehr wird auch die Kunst in jene Verzweiflung
über die Sinnlosigkeit des heutigen materiellen
Lebensgefüges mit hineingerissen. Ja, es be-
steht Gefahr, daß aus der gutgemeinten Ein-
flechtung der Kunstfunktion in die übrigen
Lebensfunktionen die Verzweiflung derer ge-
steigert werde, die gerade vom materiellen
Lebensgefüge aus die „Sinnlosigkeit" der Kunst
herandrohen sehen. Die soziale Struktur in
dieser Zeit wirft den „Künstler" mitleidlos aus
ihrem Gefüge heraus und kein noch so spitz-
findiger Rationalismus weiß ihn wieder sinnvoll
einzubauen ins rollende Geschehen. Frühere
Revolutionen wurden vom Künstler geführt.
Die, in der wir heute mitten inne stehen, kann
ihn nicht brauchen, verdammt ihn zu einer
„Sinnlosigkeit", die vergiftet. So muß jener Be-
sinnung, welche die Kunst wieder einzubauen
THEO CHAMPION-DÜSSELDORF
GEMÄLDE »DIE POST«
»SINNLOSIGKEIT« DER KUNST
VON DR. OSKAR SCHÜRER
Jüngst wurden in nachdrücklicher und über-
zeugender Weise Besinnungen laut, welche
die wichtige Funktion der Kunst innerhalb
unseres Lebensgefüges betonten. In Zeiten, da
das Leben selbstverständlich und aus seiner
Fülle dahinströmt, wären solche Besinnungen
unmöglich, da vollkommen unnötig. Erst der
Bruch im gesamten Lebensgefüge einer Zeit,
die immer offenkundiger werdende Fragwürdig-
keit der ihm zugrunde liegenden Überzeugungen
und Bewußtseinsinhalte läßt es überhaupt erst
zu solchen Überlegungen, die retten sollen,
kommen. Heute tut es dringend not, immer
wieder zu rufen: Kunst ist nicht Luxus
und Außenseitertum, Kunst ist exi-
stentielle Funktion lebendigen Da-
seins, ohne die das Leben verdorrt ebenso
wie unterm Mangel ökonomischer Existenz-
bedingungen. Wer aber wird dieWarnung hören?
Und wer sie hört: wie wird er sie verstehen?
Je mehr man den Zusammenhang von Kunst
und allgemeinem Lebenskomplex betont, umso
mehr wird auch die Kunst in jene Verzweiflung
über die Sinnlosigkeit des heutigen materiellen
Lebensgefüges mit hineingerissen. Ja, es be-
steht Gefahr, daß aus der gutgemeinten Ein-
flechtung der Kunstfunktion in die übrigen
Lebensfunktionen die Verzweiflung derer ge-
steigert werde, die gerade vom materiellen
Lebensgefüge aus die „Sinnlosigkeit" der Kunst
herandrohen sehen. Die soziale Struktur in
dieser Zeit wirft den „Künstler" mitleidlos aus
ihrem Gefüge heraus und kein noch so spitz-
findiger Rationalismus weiß ihn wieder sinnvoll
einzubauen ins rollende Geschehen. Frühere
Revolutionen wurden vom Künstler geführt.
Die, in der wir heute mitten inne stehen, kann
ihn nicht brauchen, verdammt ihn zu einer
„Sinnlosigkeit", die vergiftet. So muß jener Be-
sinnung, welche die Kunst wieder einzubauen