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Berücksichtigung der Lünetten waren das
immerhin 117 Morgen, im 19. Jh. entstanden
hier die öffentlichen Gebäude, s. u.). Einen
Teil dieses Geländes verpachtete der Rat
nach der Einebnung als Bürgergärten. Einen
anderen Teil verwandte man für Wege um
die Stadt: Der „philosophische Gang” zwi-
schen Weender und Groner Tor wurde frei-
gegeben und 1778 mit Kastanien bepflanzt
(heute Berliner Straße); zunächst als Fuß-
weg - 20 Jahre später zur Straße erweitert -
legte man die Bürgerstraße an; dagegen
behielten der Nikolausberger Weg, die Bühl-
straße, derSchildweg als ältere Gartenwege
ihren Verlauf bei. Alle diese Straßen sind in
ihrer Führung auch heute noch von der
historischen Befestigung bestimmt.
Außerdem trat der Magistrat 1783 die ehe-
malige Bleicherschanze an die Kirchenge-
meinden Albani und Nikolai ab, die hier ihren
neuen Friedhof anlegten. Dieser „Albani-
friedhof” wurde bis 1881 (Eröffnung des
Stadtfriedhofs an der Groner Landstraße, s.
u. „Die westlichen Stadtgebiete”) belegtund
ist als Teil des parkartig gestalteten Gelän-
des des ehemaligen Außenwerks/Grabens
(Rosengarten, Schwanenteich, Chelten-
ham-Park) südöstlich der Innenstadt erhal-
ten. Es finden sich hier die alten Grabstellen
z. B. von Gauß, Herbart, Lotze, Osiander, Blu-
menbach.
Durch das Abtragen der Ravelins mit den
Toren (bis 1780) verlor der Wall endgültig
den Charaktereinerbarocken Befestigungs-
anlage; heute ist die Stellung der alten
Festungswerke schwerlich nachzuvollzie-
hen, da zudem die um 1780 neu ausgebau-
ten Chausseen nach Hannover, Heiligen-
stadt und Kassel auf begradigter Trasse in
die Stadt führen.
Selbstverständlich erhielt die Stadt neue
Tore, die allerdings heute auch verschwun-
den sind; lediglich am Geismar Tor steht die
Nachbildung eines Torpfostens mit bekrö-
nendem Löwen. Alle Pforten trugen diese
Löwen mit dem Göttinger Wappen: Die bei-
den Originale vom Groner Tor befinden sich
heute am Rathaus.
Seitlich der neuen Stadtpforten wurde der
Wall, um ihn begehbar zu machen, abge-
schrägt. Ansonsten blieb er - auch aus
Kostengründen - erhalten und wurde
bereits 1765 mit Linden bepflanzt. Damit bot
sich den Bewohnern Göttingens, das im
18. Jh. keine öffentlichen Parks hatte, eine
angenehme Promenade um die Stadt.
Veränderungen erfolgten im 19. Jh., als man
die Verbindung zur 1827 erbauten Anatomie
(kriegszerstört; heute Gelände des Bus-
bahnhofs) in Verlängerung der Goetheallee
schaffte. 1878 legte man den Wall zwischen
Theater und Albanikirche (Schulbau) und
1895 zwischen Nikolaistraße und Geismar
Tor nieder. Außerdem folgte aus der expan-
dierenden Bauentwicklung in den Außenbe-
zirken in der 2. Hälfte des 19. Jh. die Notwen-
digkeit, die neu erschlossenen Gebiete
durch Straßendurchbrüche an das Straßen-
netz der Innenstadt anzubinden.


Göttingen; innerhalb seines Walles, K. Prizelius, 1862-63, Maßstab
des Orginals 1 :2520, Lithographie, Niedersächs. Staatsarchiv Hannover

Man schuf:
1878 die Verlängerung der Nikolai-
straße zurHerbartschule, Bürger-
straße/Lotzestraße,
1883 die Schulstraße (erst in den
neunziger Jahren mit der ehema-
ligen Kupferstraße zur Theater-
straße verbunden),
etwa 1890 die Verlängerung der Oberen
Maschstraße nach Nordwesten,
1897 die Friedrichstraße als Verbin-
dung zur Herzberger Landstraße,
etwa 1900 die Durchbrüche an der Anger-
und Gartenstraße.
Diese Veränderungen ermöglichten immer
noch den ungestörten Rundgang um die
Stadt.
Die stärkste Entstellung des Walles erfolgte
Anfang dersiebziger Jahre des 20. Jh. durch
den Neubau an der Kurzen Geismar Straße
1 - 3/Am Geismar Tor, der den Verlauf unter-
brochen und einen neuen Wallaufgang not-
wendig gemacht hat.
Der Wall ist heute in großen Teilen in der
Form des späten 18. Jh. erhalten; an vielen
Stellen bestehen auch noch diealten Futter-
mauern, die einen Eindruckderhistorischen
Befestigung vermitteln. Mit seiner Höhe von
bis zu neun Metern und seinem Baumbe-
stand schließt er in eindrucksvoller Weise
die dicht bebaute Innenstadt gegen die lok-
kerer bebauten äußeren Stadtteile ab.
Ein Teil der Gräben war bereits 1762 ver-
sumpft, lediglich der Feuerteich vor dem
Albanitor und der Abschnitt zwischen Gro-
ner Tor und Ausfluß der Leine aus der Stadt
führten Wasser. 1792 begann man mit der
Austrocknung des Stadtgrabens, um ihn vor
allem für Gärten zu nutzen. In der Mitte des
19. Jh. gab es noch den Feuerteich, je einen
Restteich am Weender Tor (heute an dieser
Stelle das Auditorium) gegenüber dem
Bahnhof (ehern. Waschteich bei der
Bleiche) und dem Naturhistorischen Institut
(beide nach dem Zweiten Weltkrieg verrohrt

und zugeschüttet). Heute ist von dem Gra-
ben nur noch der Feuer- oder Schwanen-
teich erhalten.
„ALTES GEISMAR DORF”
Das Dorf „Gutingi”, die erste 953 beurkun-
dete Ansiedlung im Stadtgebiet, lag auf der
Südseite der Langen Geismar Straße und
am südlichen Teil der Oberen Karspüle (s.
o.). Geistlicher Mittelpunkt dieser Siedlung
war die vor 1209 (bereits durch Heinrich II.
1002 - 1010 ?) gegründete Albanikirche, die
auf der Nordseite des Albanikirchhofs stand.
Die heutige Albanikirche ist ein Neubau des
15. Jh., der nach der Anlage derStadtbefesti-
gung um das alte Dorf möglich wurde.
Albanikirche
Die Inschrift „1423” auf der Südseite deutet
auf den vermutlichen Baubeginn hin. Die
Einwölbung der dreischiffigen Halle war
1467 abgeschlossen. Der haubenförmige
Helm mit Laterne auf dem niedrigen, fast
quadratischen Turm stammt von 1726.
Die Kirche ist aus Kalkbruchstein mit roten
Sandsteinquadern an den Strebepfeilern,
Sandsteingewänden, -maßwerk und -gesim-
sen erbaut.
Den Baukörper mit den beiden gestaffelten
Satteldächern über Langhaus und Chor
beherrscht der gedrungene Westturm mit
hohen, dreibahnigen Schallöffnungen, der
sich über der ungegliederten Westfassade
erhebt. Der durch Strebepfeiler und umlau-
fendes Kaffgesims, das sich um die Pfeiler
und über die Portale kröpft, gegliederte
gotische Bau besitzt an Schmuckformen nur
die reichprofilierten Portalgewände, das
Maßwerk (Vierpaß und Fischblasen) der
zweibahnigen Fenster und die Fialen über
den westlichen Strebepfeilern.
Das Mittelschiff setzt sich im um einige Stu-
fen erhöhten Chor fort, der aus zwei unglei-
chen Jochen und einem 5/8-Schluß besteht.
Vor dem vierjochigen Langhaus liegt im

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