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Falke, Otto von; Lessing, Julius
Kunstgeschichte der Seidenweberei: eine Auswahl der vorzüglichsten Kunstschätze der Malerei, Sculptur und Architektur der norddeutschen Metropole, dargestellt in einer Reihe der ausgezeichnetsten Stahlstiche mit erläuterndem Texte (Band 2) — Berlin, 1913

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https://doi.org/10.11588/diglit.19017#0049
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nicht die Schriftquellen aushelfen. Schon die Zeitgenossen haben hierin nicht immer Be-
scheid gewußt, und die sonst so gut unterrichteten und sachverständigen Verfasser des
römischen Schatzverzeichnisses von 1295 mußten sich wiederholt bei Goldborten und Seiden?
Stoffen mit der Angabe „luccanisch oder venezianisch" begnügen.1) Wenn in Lucca zu An*
fang des 14. Jahrhunderts wie erwähnt genueser Stoffe nachgewebt wurden, so ist das
wechselseitige Nachahmen gangbarer Muster und Gattungen wahrscheinlich auch vorher
und nachher in Schwung gewesen. In der Ortsbestimmung werden wir daher über be?
scheidene Ergebnisse kaum hinauskommen.

Die italienischen Stoffe der byzantinischen Richtung.

Wenn man von den oberitalienischen Seidengeweben noch etwas dem 12. Jahrhundert
zuschreiben darf, so hat darauf ein rot und gelber Löwenstoff großen Maßstabs in der Samm;
lung des hessischen Geschichtsvereins zu Marburg (Abb. 261) den besten Anspruch. Ein eng
verwandtes, offenbar von demselben Weber gefertigtes Stück (Abb. 262) dient als Futter
einer Glockenkasel in S. Trinita zu Florenz, die zu den Reliquien des heil. Bernardo degli
Uberti (~j- 1133) gehört.2) Die Zwickelfüllung erweist sich als unbeholfene Nachbildung
des byzantinischen Musters vom Siviardstoff in Sens (vgl. Abb. 244), das Ornament der
schmalen und jeder Einfassung entbehrenden Kreisbänderist auf ein schlichtes Zackenmuster
reduziert. Die ohne Innenzeichnung schattenhaft dargestellten steigenden Löwen zeigen bereits
deutlich das abendländisch?heraldische Gepräge, das auch weiterhin die romanischen Tier?
muster Italiensund Regensburgs von den byzantinischen Vorbildern unterscheidet. Beispiele
dafür, daß solche Seidenmuster schon um 1200 über das Textilgebiet hinaus in die roma?
nische Kunst Toscanas eingedrungen waren, bieten die schwarzweißen Marmorfußböden
vom Jahre 1207 in S. Miniato al Monte (Abb. 263 und 264). Damit ist ein Gewebe mit
verschlungenen Vogelpaaren in Lüttich (Abb. 265) und ein Greifenbrokat im S. Kens.
Museum (Abb. 266) zu vergleichen. Der letztere veranschaulicht gegenüber dem primitiven
Marburger Löwenstoff einerseits den schnellen Aufstieg, die Veredlung der italienischen
Seidenkunst im 13. Jahrhundert, andrerseits in den Palmetten der Kreisbänder und den Blättern
der Zwickelfüllungen die Umbildung byzantinischer Ornamente in die romanische Formen?
spräche. Eine vollständige Kasel aus einem gleichartigen, vermutlich demselben Betriebsort
entstammenden roten Goldbrokat mit Leopardenpaaren in Kreisen hat das Museum zu
Bergen aus der Kirche zu Röldal erworben (Abb. 267).3) Hier ist die Italianisierung etwas
weiter fortgeschritten: für die Kreisbandverzierungen mit heraldischen Lilien, die in weiten
Abständen von einander eingesetzt sind, boten die byzantinischen Stoffe kein unmittelbares
Vorbild. Dagegen hat der gelb und rote Seidenstoff auf Tafel 81c in den Rosetten und Kreis?
bandfüllungen die Erinnerung an die griechische Vorlage viel deutlicher gewahrt. Wie sehr
sich im weiteren Verlauf dieser Richtung die Tierzeichnung der Italiener von der starren
Stilisierung des Ostens entfernt — man vergegenwärtige sich nur die Adler der byzanti?
nischen Imperialstoffe —, ist am besten an dem rot und goldenen Vogelstoff (Abb. 268) zu
ersehen. Noch ist das alte Kreisschema festgehalten, aber in der einfachen und doch leben?
digen Darstellung der Adler regt sich schon das neue Naturgefühl der Gotik, das seit 1300
die durchgreifendste Wandlung der Seidenkunst herbeiführen sollte.4) Neben den Kreis?

') Inv. nr. 1438: supralectum de panno venetico sive lucano rubeo ad leoncellos ad aurum; nr. 1016:
duos camisos cum pectoribus et gramitis (Brust* und Randbesätzen) de panno lucano vel venetico antiquo.

2) Rohault, La Messe, VII S. 137, T. 589.

3) Nach B. E. Bendixen, Aus der mittelalterlichen Sammlung des Museums in Bergen, 1.2. — Das
römische Inventar von 1295 zählt unter den Stoffen von Lucca, nr. 1219 „quinque pannos rubeos ad leo*
pardos de auro" auf.

4) In diese Gruppe der italienischen Stoffe byzantinischer Richtung aus dem 13. Jahrhundert gehören noch
die im Katalog Errera auf Seite 30 u. 31 abgebildeten Fragmente nr. 14, 14a, 15, 16, in deren Kreisen Löwen,
Basilisken und Hähne paarweis dargestellt sind.

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