Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
3

Der Einsied l

andern guten Dingen zu lieb, z. B. ob eines Jodlers zu
Fügen und eines kühlen Trunkes beim Wälschwirth zu Zell,
oder weil ihm allerlei anvertraut wurde von der sanften zn-
thätigen Gemüthsart der Zillerthalerinnen, vielleicht auch,
um bei svlcher Gelegenheit zu ächten landeswüchsigen Prü-
geln zu kommen; — wie dem sei, ans seinem Wege hat
er den glänzenden Punkt rechts oben im Walde nicht übersehen
können hart beim Eintritt in s gelobte Land am Ziller; —
ja wer auch nur einmal mit dem Stcllwagen von Rattenberg
nach Schwaz gefahren ist, kennt das Kirchlein an der Brettfall.

Ein Gnadenbild der Mnttergottes wird dort oben seit
langein verehrt und in der Klause daneben wohnte der Wald-
bruder, welcher Meßnerdienst in der Kapelle verrichtete und
nebenher ganz nach der Regel und Gewohnheit seine Tage
I hinbrachte, wie sie dem Volke von je an diesen Einschichtigen
gefiel und ihnen gut zu statten kam. Er betete und gewann
Ablässe für Lebendige und Verstorbene, verkaufte Gebetlein
von Unser Frau auf der Brettfall und verbrannte den armen
Seelen bezahlte Lichtlein so viel man wünschte. Ans ein
paar Karmeliter-Hausmittel und sonst gute Rathschläge in
allerlei Noth wird er sich auch verstanden haben, auch soll
er nie einen pfündigen Butterwecken oder eine Speckseite, ein
Läglein Rothen oder einen Sack Türkenmehl einem Christen-
menschen abgeschlagen haben, wenn man sie ihm zum Gottes-
lohn anbvt für seine Weltentsagung. Nach solchen Normen
lebte der erste Einsiedl, und nach ihm der zweite und ein
gutes Dutzend hinter diesen, und nur einmal ward pausirt,
als der Kaiser Joseph im edlen Jrrthum meinte, sein Volk
philosophire so einfach - menschlich wie er und könne zum
mindesten der Einsiedler entbehren. Er starb und die schwer
vermißten Einsiedler füllten so ziemlich die Lücke aus, die
des Kaisers Tod im „Lande der Unmöglichkeiten" hinter-
lassen hatte. So gediehen sie fort bis zu unfern Tagen und
beim Frühlicht uusers Säkulums saß auch auf der Brettfall
ein tvackrer Kutteuinann, hoch in Ehren wegen seiner gemein-
verständlichen, christlichen Standreden, womit er das Volk uni
so kräftiger auferbaute, je unumwundner er nicht allein die \
Sünden seiner Zuhörer, sondern auch derjenigen beim rechten
Namen nannte, welche ihnen in jeder Sonntagspredigt die
Hölle heiß machten.

Gerade als dieser beliebte Waldapvstel das Zeitliche mit
dem Ewigen vertauschte, mußte das Land Tirol, wie das
Sprichwort sagt, Kappen tauschen. Es erhielt statt der mit
dem Doppeladler gestempelten, eine andere mit dem bayerischen
Löwen verzierte. Im Schatten dieser neuen Mütze sollten die
Aufklärung gedeihen und alle alten landesüblichen Albern-
heiten verschwinden, wie die Kugeln unter eines Taschen- ;
spielers Hut. Auch die Einsiedler durften der Erleuchtung
nicht länger den Weg verhängen mit ihren dichten Kutten.
Man schrieb ihnen ein Abschaffungsdekret. Dem Brettfall- !
Eiusiegl mußte so was geschwant haben und um den neuen
Regierern den Triumph zu verderben, starb er, ehe sie ihn
aus seiner Zelle trieben, vergaß aber auch nicht, sie vorher
frisch zu bevölkern.

an der Brettfall.

Diesen Nachfolger hatte er schon seit langem sich anserfeheu
oder besser gesagt, zurecht gemacht nach seiner Art, um ihm
mit der leeren Klause und der Meßnerwürde auch des Volkes
Gunst und offene Hände vererben zu können. Es war ge-
Ivisserniaßen sein Nvtherbe, sein Pflegesohn, mit dem er seit
neun Jahren Hütte und Schüssel getheilt und demselben seine
ganze Klansnerweisheit ohne Rückhalt auf nassem und trock-
uem Wege beigebracht hatte. Als einen eilfjährigen Bettel-
jungen hatte er seinen „Mastel" vor der Zelle angetroffen,
wo derselbe einen guten halben Tag lang unablässig mit den
Brctzen geliebängelt hatte, die der Eiusiegl zum Verkaufe
bot und von ihm in Versuchung geführt, dennoch keine ent-
fremdete. Nachdem er sofort mit drei Bretzen die bewiesene
Tugend belohnt hatte, wurde auch iu Erfahrung gebracht,
daß des Buben Vater als Oeltrager längst in der Fremde
gestorben, die Mutter aber nirgend mehr zu finden sei, wo-
rauf er diesem den Antrag machte, bei ihm zu bleiben und
sein frommes Gewerbe zu erlernen. Das Anerbieten ward
angenommen und so kam es, daß an des alten EinsieglS
Sterbebett ein aufrichtig weinender Sohn stund und auf des
Vaters letzte Weisungen andächtig horchte.

„Wenn's jetzt dann mit mir um ist" — sagte der Schei-
dende — „daun ziehst du meine gute Kutte an, Wastl, und
machst halt so fort, wie du's bei mir gvsehen hast, 's wird
sich dann nichts fehlen, ich Hab mein Auskommen dabei ge-
funden und ich wüßte nicht, warum es dir schief gerathen
sollte. Du bist noch jung und ich war schon ein alter Steiu-
schnepf, wie mir der Beruf eingeleuchtet ist. Und du hast
den Beruf — also in Gottes Namen werd' du Eiusiegl auf
der Brettfall."

Sebastianus, der gute Sohn, hatte in seinen Lehrjahren
bereits soviel Einsicht gewonnen, daß er die Last dieser Würde
mit Fassung auf sich nahm und küßte stillschlveigend des
Spenders Hand.

Der aber fuhr fort: „Laß dich auch nicht abwendig
machen von deinem Beruf! Wenn dich die Bayern verjagen,
wie man sagt, daß sie's allen Einsiegeln machen wollen, so
komm du nur wieder und setz' dich in deine Klausen, denn
der neue Landrichter bleibt nicht drinn, der dich ausschafft
und später, mein' ich, wird der Stiel umgekehrt. Ein bis-
lein Marterthum zahlt sich gewiß gut aus. — Wenn dir
aber der liebe Herrgott einen andern Beruf schickt, nachher
gib den jetzigen ans!"

Verwundert sah ihn der Nachfolger an: „Was sollt' er
mir denn für einen andern schicken?" fragte er.

„Das kann ich dir g'rad nicht sagen — aber du wirst's
schon merken," lautete die Antwort, die letzte, die der alte
Brettfall-Klausner gab, denn er wandte sich aus die Seite,
um gleich darauf zu sterben.

(Schluß folgt.)

1
Bildbeschreibung
Für diese Seite sind hier keine Informationen vorhanden.

Spalte temporär ausblenden
 
Annotationen