«
Bekleidete Statuen.
Es ist noch nicht lange, daß wir in öffentlichen Blättern eine über-
raschende Nachricht lasen. Es wurde nämlich gemeldet, die Polizeidirection
zu Rom habe ein Mandat erlassen, kraft dessen sämmtliche im Kirchen-
staate vorfindliche Nuditäten, so ferne sie an öffentlichen Statuen zur
Erscheinung kämen, ohne Aufschub verhüllt Iverden sollten. Dieser Vor-
gang hat die Freunde einer höhern Sittlichkeit in hohem Maße befriedigt,
und in gelviffen Kreisen ein Interesse erregt, wie es die Bekleidung des
Nackten als ein gewöhnliches Werk der Barmherzigkeit betrachtet, kaum
anzusprechen haben dürfte. Selbst unfern Kunstschulen möchte es schwer
werden, sich dem gewichtigen Beispiele, das die Hauptstadt der christlichen
Welt gegeben, noch länger zu entziehen, ja wie man vernimmt, soll die
Anerkennung dieses Princips hie und da bereits der Gegenstand ernsthaf-
tester Berathnngen gelvesen sein. *) Bei solchen Verhandlungen will sich
indessen ergeben haben, daß ein künstlerisches Aufgreifen der Sache mit
eigenthümlichen Schwierigkeiten zu kämpfen berufen sei. Das Vage,
Allgemeine, schlechthin Generische des sogenannten Nackten, das nun durch
die Bedingungen des Alters und des Geschlechts mehr oder weniger indi-
vidualisirt wird, erscheint nämlich mit einem Male als hinweggenommen
und in diesem Momente erwachsen unabweisbare Forderungen an das in
seine Stelle tretende Neue. Es handelt sich also nicht allein um Ueber-
windung des Natürlichen mit allen seinen Hintergedanken — in diesem
Falle könnte man einer strenger» Ethik durch eine einfache Enveloppe aus
wohlfeiler Packleinwand genügen — sondern die Aufgabe, die schwierige
und nur vom Talente zu lösende Aufgabe ist, zu errathen, wie sich der
alte Bildner sein Wer? gedacht hätte, vorausgesetzt, daß er es bekleidet
hätte denken müsse». Allein nicht genug! Es liegt tief im Sinne dieser
Neuerung, daß der Gedanke des vorigen Zustandes gänzlich beseitigt, ver-
nichtet und die Erscheinung eine wahrhaft moderne werde, eine alle fälsch-
lich antikisirenden Beziehungen abschneidende. Es ist also ferner durch
geniale Conjectur zu ergründen, >oie sich der alte Bildner sein Werk
gedacht hätte, nicht nur, wenn er es bekleidet hätte denken müssen, son-
dern wenn ihm überdies keine andern Mittel der Bekleidung als moderne
zur Verfügung gewesen wären. Wie leicht hier Mißgriffe begangen
werden können, ist kaum zu sagen! Um so anerkennenswerther jeder
gelungene Wurf, wie wir namentlich in der Behandlung des sterbenden
Fechters (siehe unten) einen solchen zu gewahren glauben. Ist es Täu-
schung oder ein berechtigter Eindruck, wenn wir plötzlich fühlen, daß uns
die Gestalt nunmehr viel verständlicher geworden? Und sollte es eine zu
gewagte Behauptung sein, daß erst ans diesem Wege die Sculptur — wir
sagen nicht eine populäre — wir sagen eine ächt nationale werden könne?
Der wahrheitsliebende Kunsthistoriker wird indessen noch andere ein-
greifende Folgen dieser neuen Behandlungsart zu verzeichnen haben. Es
kann kaum Widerspruch finden, daß das Unbekleidete nach unsrer klima-
tischen Weltlage längst den Schein des Unnatürlichen an sich trug und
daß nur lange Geivohnheit unsre Augen mit dem an sich Unvernünftigen
versöhnen konnte. Welche innere Glaubwürdigkeit kann zum Beispiel ein
nackter Fischerknabe, ein nackter Weidmann in Anspruch nehmen aus einem
Boden, der oft schon im Spätherbste mit einer wenn auch dünnen Eis-
kruste überzogen ist? Und ist nicht selbst unser Sommer zumeist regnerisch,
kühl und auf eine warme Gewandung nachdrücklich hinwirkend? Odertoer
geht in unfern Städten überhaupt unbekleidet über die Gasse? — So war
denn diese Art der Darstellung für sich selbst schon eine Lüge und konnte
als solche auch auf die öffentliche Wahrhaftigkeit nur verderblichen Einfluß
üben. Und doch wollte unsre zu früh geweckte Vorliebe für das Antike
selbst bei Fischern, Jägern u. dgl. weder Wasserstiefel, noch überhaupt eine
*) Wie versichert wird, soll die Akademie der Künste in dieser Richtung eine
Preisausgabe stellen wollen. Ohne diese abzuwarten, hat eine geniale Hand einst-
weilen die einzelnen Umrisse hingeworsen, welche uns hierzu benützen verstaltet ist.
Dir mrdicrischr Vrnns.
Drr farnrlifchr Hrrlrulrs
Bekleidete Statuen.
Es ist noch nicht lange, daß wir in öffentlichen Blättern eine über-
raschende Nachricht lasen. Es wurde nämlich gemeldet, die Polizeidirection
zu Rom habe ein Mandat erlassen, kraft dessen sämmtliche im Kirchen-
staate vorfindliche Nuditäten, so ferne sie an öffentlichen Statuen zur
Erscheinung kämen, ohne Aufschub verhüllt Iverden sollten. Dieser Vor-
gang hat die Freunde einer höhern Sittlichkeit in hohem Maße befriedigt,
und in gelviffen Kreisen ein Interesse erregt, wie es die Bekleidung des
Nackten als ein gewöhnliches Werk der Barmherzigkeit betrachtet, kaum
anzusprechen haben dürfte. Selbst unfern Kunstschulen möchte es schwer
werden, sich dem gewichtigen Beispiele, das die Hauptstadt der christlichen
Welt gegeben, noch länger zu entziehen, ja wie man vernimmt, soll die
Anerkennung dieses Princips hie und da bereits der Gegenstand ernsthaf-
tester Berathnngen gelvesen sein. *) Bei solchen Verhandlungen will sich
indessen ergeben haben, daß ein künstlerisches Aufgreifen der Sache mit
eigenthümlichen Schwierigkeiten zu kämpfen berufen sei. Das Vage,
Allgemeine, schlechthin Generische des sogenannten Nackten, das nun durch
die Bedingungen des Alters und des Geschlechts mehr oder weniger indi-
vidualisirt wird, erscheint nämlich mit einem Male als hinweggenommen
und in diesem Momente erwachsen unabweisbare Forderungen an das in
seine Stelle tretende Neue. Es handelt sich also nicht allein um Ueber-
windung des Natürlichen mit allen seinen Hintergedanken — in diesem
Falle könnte man einer strenger» Ethik durch eine einfache Enveloppe aus
wohlfeiler Packleinwand genügen — sondern die Aufgabe, die schwierige
und nur vom Talente zu lösende Aufgabe ist, zu errathen, wie sich der
alte Bildner sein Wer? gedacht hätte, vorausgesetzt, daß er es bekleidet
hätte denken müsse». Allein nicht genug! Es liegt tief im Sinne dieser
Neuerung, daß der Gedanke des vorigen Zustandes gänzlich beseitigt, ver-
nichtet und die Erscheinung eine wahrhaft moderne werde, eine alle fälsch-
lich antikisirenden Beziehungen abschneidende. Es ist also ferner durch
geniale Conjectur zu ergründen, >oie sich der alte Bildner sein Werk
gedacht hätte, nicht nur, wenn er es bekleidet hätte denken müssen, son-
dern wenn ihm überdies keine andern Mittel der Bekleidung als moderne
zur Verfügung gewesen wären. Wie leicht hier Mißgriffe begangen
werden können, ist kaum zu sagen! Um so anerkennenswerther jeder
gelungene Wurf, wie wir namentlich in der Behandlung des sterbenden
Fechters (siehe unten) einen solchen zu gewahren glauben. Ist es Täu-
schung oder ein berechtigter Eindruck, wenn wir plötzlich fühlen, daß uns
die Gestalt nunmehr viel verständlicher geworden? Und sollte es eine zu
gewagte Behauptung sein, daß erst ans diesem Wege die Sculptur — wir
sagen nicht eine populäre — wir sagen eine ächt nationale werden könne?
Der wahrheitsliebende Kunsthistoriker wird indessen noch andere ein-
greifende Folgen dieser neuen Behandlungsart zu verzeichnen haben. Es
kann kaum Widerspruch finden, daß das Unbekleidete nach unsrer klima-
tischen Weltlage längst den Schein des Unnatürlichen an sich trug und
daß nur lange Geivohnheit unsre Augen mit dem an sich Unvernünftigen
versöhnen konnte. Welche innere Glaubwürdigkeit kann zum Beispiel ein
nackter Fischerknabe, ein nackter Weidmann in Anspruch nehmen aus einem
Boden, der oft schon im Spätherbste mit einer wenn auch dünnen Eis-
kruste überzogen ist? Und ist nicht selbst unser Sommer zumeist regnerisch,
kühl und auf eine warme Gewandung nachdrücklich hinwirkend? Odertoer
geht in unfern Städten überhaupt unbekleidet über die Gasse? — So war
denn diese Art der Darstellung für sich selbst schon eine Lüge und konnte
als solche auch auf die öffentliche Wahrhaftigkeit nur verderblichen Einfluß
üben. Und doch wollte unsre zu früh geweckte Vorliebe für das Antike
selbst bei Fischern, Jägern u. dgl. weder Wasserstiefel, noch überhaupt eine
*) Wie versichert wird, soll die Akademie der Künste in dieser Richtung eine
Preisausgabe stellen wollen. Ohne diese abzuwarten, hat eine geniale Hand einst-
weilen die einzelnen Umrisse hingeworsen, welche uns hierzu benützen verstaltet ist.
Dir mrdicrischr Vrnns.
Drr farnrlifchr Hrrlrulrs
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Bekleidete Statuen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Objektbeschreibung
(1) "Die mediceische Venus"
(2) "Der farnesische Herkules"
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)