! 102 Der Lad
: schmale Ritz genügte bald nicht mehr; an jedem Abende ward
etwas mehr mit leiser, vorsichtiger Hand ausgeschnitzt und da-
mit cs am Tage nicht in die Augen falle, mit feuchter Brod-
krume beim Weggehen zugedrückc. Nach und nach war so aus
dem schmalen Ritzchen ein eirundes Lock geworden, durch wel-
ckes das Auge des Liebenden bequem den Gegenstand seiner
heiße» 2 eh „sucht betrachten und bewundern durfte. Ach! was
doch Kummer und Liebcsnoth ein Mädchenantlitz von scchszehn
Jahren verschönern und verklären. Wenigstens ihm schien es
so; er hatte sie nie so schön, so voller Liebreiz gesehen und
mit innerer Angst sah er jeden Abend dem Augenblicke entgegen,
wo der Alte zum Schlafengehen aufforderte, und er den bereit-
gehaltenen Brodlrumcnteig künstlich in die runde Oeffnung
knetete. Ward er auch im Laufe dcö Abends zehnmal durch
Vorübergehende von seinem Wartposten verscheucht; er kehrte
immer dahin zurück, so lange Licht im Zimmer war und seine
Doris am Tische saß.
So trieb er dieses unschuldige und genügsame Spiel der
Liebe und Sehnsucht viele Wochen lang; Ulrike, seine Schwester
freute sich im Stillen über ihn, da sie ihn ruhig, ja glücklich,
wußte, ohne die Ouellc seines Glücks entfernt zu ahnen. Eines
Morgens nun brachte ihm der Briefbote ein großes, mit einer
thalergroßcn Oblate versiegeltes Schreiben, dcsicn Inhalt seine
kühnsten Erwartungen übertras; denn er ward darin von dem
hochwürdigcn Consistorio der Provinz Sachsen zu Magdeburg
zu einer sehr einträglichen Pfarre iu der Gegend von Merseburg
berufen. Dadurch belebten sich natürlich seine Hoffnungen auf
den Besitz der heißgeliebten Doris aufs neue. Jetzt brauchte
er ja nicht mehr von bloßen Aussichten zu sprechen; mit einer
solchen Versorgung konnte er ja kühn vor den Vater jedes
Mädchens treten und wäre er noch wählerischer und eigensin-
niger gewesen, als der alte Gieseckc. Das helle Sonnenlicht,
ras diesen Apriltag verschönte« schien ein Reflex seiner heitern,
überglücklichen Stimmung und er machte tausend Pläne, auf
n b o h r e r.
welche Weise er nun wohl am passendsten und zweckmäßigsten
seinen Antrag erneuern könnte.
Wir lasse» ihn einstweilen iu diesen angenehmen Betrach-
tungen und süßen Plänen und wenden uns zu dem alten Gieseckc.
Besagter alter Herr war l)eut wunderlicher und borstiger, als
alle Tage vorher. Das ewige Kopfhängen seines Mädchens,
das ja sein einziges und geliebtes, wenn gleich, wie er meinte,
ungehorsames und trotziges Kind war, das fortwährende lleber-
laufcn ihrer Augen von den Thräncu heißer Sehnsucht machten
ihm den Kopf wirsch. Gehörte es doch zu seinen größten Lebens-
genüssen, sein Kind fröhlich und munter wie ein Sommervöglcin
um sich her Hüpfen und singen zu sehen, und nun saß das arme
Ding immer da, als ob cs für sic keine Freude mehr gäbe.
Das war ihm auf die Dauer schier unerträglich und doch ließ es
ein falscher Stolz nicht zu, durch zuvorkommendes Einlenken
und freundliches Rachgebcn die geknickte Blume wieder aufzu-
richten. Er sah aus heut wie Aetzlaugc; nichts war ihm recht
an diesem schönen Morgen; der Geselle ward angefahrcn und
der Lehrbursche bekam Ohrfeigen. Und nun fuhr noch jeden
Augenblick ein Heller, steiircuder Sonnenblick über seinen Arbeits-
tisch und blendete ihm die Augen. Schon zehnmal hatte er
die Augen ausgewischt und die Brillengläser dazu; immer
wieder lief so ein gr.ller, stechender Sonnenstrahl über die glanz-
flimmerndcn Stückchen eines auseinander genommenen Uhrge-
häuses, das er mit seiner Lupe untersuchte. „Ei! so schier dich
hinaus, dn unnützer Lasse und klappe den Laden an," herrschte
er den Lehrburschen an. Der Junge gehorchte eiligst; aber ein
Windstoß entriß den losgelösten Laden seiner Hand und schlug
ihn so krachend gegen das Fenster, daß der Alte hoch auffuhr
und tausend Donnerwetter über den nichtsnutzigen Jungen
hervorpolterte. Eine Fensterscheibe war nun zwar nicht zer-
brochen und das war ein Glück für den armen Jungen, sonst
würde cs beim bloßen Schelten nicht verblieben sein. Aber ein
anderes Unglück hatte sich zugetragen. Der in das von Hein-
rich Belthuse» ausgeschnitzte Loch künstlich eingesetzte Brod-
krumcnpfropsen war hcrausgefallen, und in Folge besten erschien
ans dem Arbeitstische gerade aus dem Uhrgehäuse, das der Alte
untersuchte, ein eirundes, hellglänzendes Fleckchen Sonnenschein.
Wo in aller Welt kam das her? Der alte Manu stand auf
und ciu einziger Blick ans den angelegter, Laden belehrte ihn
von der Ursache. „Mein Gott, Leute, seht einmal her, was
ist das?" rief er fast versteinert vor Schrecken und Staunen
über die gemachte Entdeckung, „ein Loch im Fensterladen und
so wahr der allmächtige Gott im Himmel lebt, frisch ausge-
schnitten! und dicht am Wirbel des Fensters, wo die goldnen
Cylinderuhren hängen! Ha! mir geht ein Licht auf," fuhr er
nach einem kurzen Schweigen entsetzt fort, „ein schauderhaftes
Licht! Das hat ein Dieb gethan, der nach meinen Uhren
lüstern ist. Seht her, dicht an der Ladcnschraube, groß genug,
zwei Fingerbequemdurchzustccken, um die Mutter loszuschrauben."
(Fortsetzung folgt.)
: schmale Ritz genügte bald nicht mehr; an jedem Abende ward
etwas mehr mit leiser, vorsichtiger Hand ausgeschnitzt und da-
mit cs am Tage nicht in die Augen falle, mit feuchter Brod-
krume beim Weggehen zugedrückc. Nach und nach war so aus
dem schmalen Ritzchen ein eirundes Lock geworden, durch wel-
ckes das Auge des Liebenden bequem den Gegenstand seiner
heiße» 2 eh „sucht betrachten und bewundern durfte. Ach! was
doch Kummer und Liebcsnoth ein Mädchenantlitz von scchszehn
Jahren verschönern und verklären. Wenigstens ihm schien es
so; er hatte sie nie so schön, so voller Liebreiz gesehen und
mit innerer Angst sah er jeden Abend dem Augenblicke entgegen,
wo der Alte zum Schlafengehen aufforderte, und er den bereit-
gehaltenen Brodlrumcnteig künstlich in die runde Oeffnung
knetete. Ward er auch im Laufe dcö Abends zehnmal durch
Vorübergehende von seinem Wartposten verscheucht; er kehrte
immer dahin zurück, so lange Licht im Zimmer war und seine
Doris am Tische saß.
So trieb er dieses unschuldige und genügsame Spiel der
Liebe und Sehnsucht viele Wochen lang; Ulrike, seine Schwester
freute sich im Stillen über ihn, da sie ihn ruhig, ja glücklich,
wußte, ohne die Ouellc seines Glücks entfernt zu ahnen. Eines
Morgens nun brachte ihm der Briefbote ein großes, mit einer
thalergroßcn Oblate versiegeltes Schreiben, dcsicn Inhalt seine
kühnsten Erwartungen übertras; denn er ward darin von dem
hochwürdigcn Consistorio der Provinz Sachsen zu Magdeburg
zu einer sehr einträglichen Pfarre iu der Gegend von Merseburg
berufen. Dadurch belebten sich natürlich seine Hoffnungen auf
den Besitz der heißgeliebten Doris aufs neue. Jetzt brauchte
er ja nicht mehr von bloßen Aussichten zu sprechen; mit einer
solchen Versorgung konnte er ja kühn vor den Vater jedes
Mädchens treten und wäre er noch wählerischer und eigensin-
niger gewesen, als der alte Gieseckc. Das helle Sonnenlicht,
ras diesen Apriltag verschönte« schien ein Reflex seiner heitern,
überglücklichen Stimmung und er machte tausend Pläne, auf
n b o h r e r.
welche Weise er nun wohl am passendsten und zweckmäßigsten
seinen Antrag erneuern könnte.
Wir lasse» ihn einstweilen iu diesen angenehmen Betrach-
tungen und süßen Plänen und wenden uns zu dem alten Gieseckc.
Besagter alter Herr war l)eut wunderlicher und borstiger, als
alle Tage vorher. Das ewige Kopfhängen seines Mädchens,
das ja sein einziges und geliebtes, wenn gleich, wie er meinte,
ungehorsames und trotziges Kind war, das fortwährende lleber-
laufcn ihrer Augen von den Thräncu heißer Sehnsucht machten
ihm den Kopf wirsch. Gehörte es doch zu seinen größten Lebens-
genüssen, sein Kind fröhlich und munter wie ein Sommervöglcin
um sich her Hüpfen und singen zu sehen, und nun saß das arme
Ding immer da, als ob cs für sic keine Freude mehr gäbe.
Das war ihm auf die Dauer schier unerträglich und doch ließ es
ein falscher Stolz nicht zu, durch zuvorkommendes Einlenken
und freundliches Rachgebcn die geknickte Blume wieder aufzu-
richten. Er sah aus heut wie Aetzlaugc; nichts war ihm recht
an diesem schönen Morgen; der Geselle ward angefahrcn und
der Lehrbursche bekam Ohrfeigen. Und nun fuhr noch jeden
Augenblick ein Heller, steiircuder Sonnenblick über seinen Arbeits-
tisch und blendete ihm die Augen. Schon zehnmal hatte er
die Augen ausgewischt und die Brillengläser dazu; immer
wieder lief so ein gr.ller, stechender Sonnenstrahl über die glanz-
flimmerndcn Stückchen eines auseinander genommenen Uhrge-
häuses, das er mit seiner Lupe untersuchte. „Ei! so schier dich
hinaus, dn unnützer Lasse und klappe den Laden an," herrschte
er den Lehrburschen an. Der Junge gehorchte eiligst; aber ein
Windstoß entriß den losgelösten Laden seiner Hand und schlug
ihn so krachend gegen das Fenster, daß der Alte hoch auffuhr
und tausend Donnerwetter über den nichtsnutzigen Jungen
hervorpolterte. Eine Fensterscheibe war nun zwar nicht zer-
brochen und das war ein Glück für den armen Jungen, sonst
würde cs beim bloßen Schelten nicht verblieben sein. Aber ein
anderes Unglück hatte sich zugetragen. Der in das von Hein-
rich Belthuse» ausgeschnitzte Loch künstlich eingesetzte Brod-
krumcnpfropsen war hcrausgefallen, und in Folge besten erschien
ans dem Arbeitstische gerade aus dem Uhrgehäuse, das der Alte
untersuchte, ein eirundes, hellglänzendes Fleckchen Sonnenschein.
Wo in aller Welt kam das her? Der alte Manu stand auf
und ciu einziger Blick ans den angelegter, Laden belehrte ihn
von der Ursache. „Mein Gott, Leute, seht einmal her, was
ist das?" rief er fast versteinert vor Schrecken und Staunen
über die gemachte Entdeckung, „ein Loch im Fensterladen und
so wahr der allmächtige Gott im Himmel lebt, frisch ausge-
schnitten! und dicht am Wirbel des Fensters, wo die goldnen
Cylinderuhren hängen! Ha! mir geht ein Licht auf," fuhr er
nach einem kurzen Schweigen entsetzt fort, „ein schauderhaftes
Licht! Das hat ein Dieb gethan, der nach meinen Uhren
lüstern ist. Seht her, dicht an der Ladcnschraube, groß genug,
zwei Fingerbequemdurchzustccken, um die Mutter loszuschrauben."
(Fortsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Ladenbohrer"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 13.1851, Nr. 301, S. 102
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg