Der wohlangesehenen Bü
Berliner Mosaiker Brügel kriegte, weil er seiner Nachbarin im
Finstern hatte einen Kus geben wollen, aber aus Versehn an
das Gesicht daneben gekommen war, was ihren Ehemanne ge-
hörte. Ich bekam bei dieser Gelegenheit auch ein baar rechte
derbe Büfse mit weg, warum ich mit den Berliner um die
Wette schrie. Auf einmal wurde es wieder Helle und nun sah
ich, daß dieses, was ich erst vor Nacht gehalten hatte, nur ein
künstliches Loch in der Eisenbahn gewesen war, was man
. Dunnel nennt. Bei der Hellen Bcleichtung setzte es nun noch
mehr Brügel bis der Kondoktöhr kam und den Berliner zur
Bestrafung in die dritte Klaffe versetzte. Hierauf schlief ich
wieder ein und erwachte erst, wie es wirklich finstre Nacht und
wir in Ostende waren. Also hatte ich so zirka 80 Meuten
oder 160 Stunden in 12 Stunden verschlafe»; das nennt man
doch Geschwindigkeit, liebe Anverwandten u. s. w.! Nicht wahr?
Ostende ist eine Seestadt was auf deutsch Hafen Heist und
so nahe am Meere liegt, als wie Berne an der Elbe. Ich
hätte mir nun gerne trotz der Finsterniß noch das Meer gleich
besehn, aber unser Vergnigungsbrinzibal schrie: „MeineHerrcns,
bleiben Sie zusammen, hier giebts ein Supö und dann gchts
gleich mit den Dambfschiff weiter." Das war nun freilich an-
genehm, denn wir hatten Alle seit Magdeburg nichts nicht
gegessen als trockne Semmel. Das Hohtell hier war aber sehr
mühserabel und nicht beffer als unsre Fuhrmannskneiben nur
daß hier die Fnhrleite Seematrosen waren, die schimbften, fluch-
ten, Tabak kauten und rauchten, daß man kaum hören und
sehen konnte. Und das Essen war auch so, denn das Fleisch
war alles hoh kuh wie der Franzose vor stiukigt sagt und noch
dazu griff manchmal ein
Seematrose mit in unsre
Schiffet, der gar nicht
mit zum Ecksdrahver-
gnigen gehörte.
Run ging es auf das
Schiff. Der Mond war
einstweilen aufgegangen
und jetzt konnte man das
Meer ordentlicht sehn,
aber liebe Anverwandten
u. s. w. das ist doch etwas
merkwirdichtes, denn das ganse Meer ist nichts als wie schmutz-
ichtes, salzigtes Waffer und mehrere hundertausend Ellen tief, wie
ein andrer Baßaschier sagte. Auf den Bülljettc stand, daß das
Dambfschiff 300 Pfcrdedambfschiffarthskräfte hätte; das schien
mir aber doch etwas übertrieben, denn so viel Pferde hätten
außer uns liebe Anverwandten u. s. w. gar keinen Platz nicht
gehabt. Lehmann zitterte sehr, ich drehstete ihn aber und sagte:
»Lehmann Du bist ein Esel, wir versaufen nicht gleich, nur
Kuhrasche mußt Du haben." Oben konnte man es aber nicht
lange aushaltcn und ich fragte daher nach meinen Bette. Ja
aber von einen Bette war keine Rebe nicht, sondern sic zeigte»
mir unten in der Kajüde ein langes vierecklichcs Loch in der
Wand, was noch keine Elle hoch war und da sollte ich mich
hineinlegen. Aber wenn mich Lehmann nicht hineingeschoben
rger Lehmann und Graf ic.
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hätte, so wäre ich auch nicht hineingekommen. Ich lag noch
gar nicht lange, wie ich merkte, daß das Schiff bedeitend an-
fing zu wackeln, was wahrscheinlich von die Matrosens kam,
die immer oben auf den Schiff hin und her liefen. Erst war
mir gans wohl, dann wurde mir aber weniger wohl, dann
wurde mir etwas übel und endlich sehr übel. Ich dachte: Du
mußt doch der infamigen Wirthschaft ein Ende machen; kroch
heraus und lief hinauf, waS man das Verdeckt nennt. Hier
nahm ich einen Matrosen beim Kragen und sagte, wenn das
Laufen und Schaukeln nicht bald aufhörtc, so würde ich mich
noch deitlicher erklären. Aber der lachte mich aus und sagte,
das käme von den Secwellen und ich hätte die Seekrankheit.
Da wäre ich aber vor Schreck bald umgcfallen und konnte
mich kaum wieder bis in die Kajüde schlöppen; aber wie sah
es da aus, Lehmann streckte alle Viere von sich und brillte
immer: „Ach lieber Graf, ich bin schon todt, mausctodt bin ich."
So ging es auch den andern Baßaschüren, so daß der Ma-
trosenjunge der den Dokthor machte, gar nicht genug konnte
behilflich sein. Ich machte es auch so, wie alle andern, liebe
Anverwandten u. s. w., was ich Euch später näher beschreiben
will. Nach sehr vielen Leiten schlief ich ein und wachte erst
auf, wie es Heller Tag war. Ich hatte mich schon Gestern
mit der Jthee hingelcgt, daß ich am andern Morgen todt wäre,
wenn ich aufwachte, aber hingegen jetzt war ich ganz wohl
und Lehmann auch. Wir stiegen hinauf und sahen, daß wir
nicht mehr im Meer, sondern in der Tömse waren, die auf
der Landkarte mitten durch London durchbaßirt. Jetzt sah man
fast gar kein Waffer nicht mehr vor lauter Schiffe» und es
mögen wohl einige hundcrtausende wenn nicht gar noch einige
mehr gewesen sei». Wir fuhren auch an Greenwich vorbei
wo sic auf den Sternobsalvatorium die beriemten Kaländer
machen und wo auch die Erziehungsanstalt vor die alten abge-
nuzten Seeinfaliten ist, was sehr indrchsant zu sehn ist.
(Schluß folgt).
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Berliner Mosaiker Brügel kriegte, weil er seiner Nachbarin im
Finstern hatte einen Kus geben wollen, aber aus Versehn an
das Gesicht daneben gekommen war, was ihren Ehemanne ge-
hörte. Ich bekam bei dieser Gelegenheit auch ein baar rechte
derbe Büfse mit weg, warum ich mit den Berliner um die
Wette schrie. Auf einmal wurde es wieder Helle und nun sah
ich, daß dieses, was ich erst vor Nacht gehalten hatte, nur ein
künstliches Loch in der Eisenbahn gewesen war, was man
. Dunnel nennt. Bei der Hellen Bcleichtung setzte es nun noch
mehr Brügel bis der Kondoktöhr kam und den Berliner zur
Bestrafung in die dritte Klaffe versetzte. Hierauf schlief ich
wieder ein und erwachte erst, wie es wirklich finstre Nacht und
wir in Ostende waren. Also hatte ich so zirka 80 Meuten
oder 160 Stunden in 12 Stunden verschlafe»; das nennt man
doch Geschwindigkeit, liebe Anverwandten u. s. w.! Nicht wahr?
Ostende ist eine Seestadt was auf deutsch Hafen Heist und
so nahe am Meere liegt, als wie Berne an der Elbe. Ich
hätte mir nun gerne trotz der Finsterniß noch das Meer gleich
besehn, aber unser Vergnigungsbrinzibal schrie: „MeineHerrcns,
bleiben Sie zusammen, hier giebts ein Supö und dann gchts
gleich mit den Dambfschiff weiter." Das war nun freilich an-
genehm, denn wir hatten Alle seit Magdeburg nichts nicht
gegessen als trockne Semmel. Das Hohtell hier war aber sehr
mühserabel und nicht beffer als unsre Fuhrmannskneiben nur
daß hier die Fnhrleite Seematrosen waren, die schimbften, fluch-
ten, Tabak kauten und rauchten, daß man kaum hören und
sehen konnte. Und das Essen war auch so, denn das Fleisch
war alles hoh kuh wie der Franzose vor stiukigt sagt und noch
dazu griff manchmal ein
Seematrose mit in unsre
Schiffet, der gar nicht
mit zum Ecksdrahver-
gnigen gehörte.
Run ging es auf das
Schiff. Der Mond war
einstweilen aufgegangen
und jetzt konnte man das
Meer ordentlicht sehn,
aber liebe Anverwandten
u. s. w. das ist doch etwas
merkwirdichtes, denn das ganse Meer ist nichts als wie schmutz-
ichtes, salzigtes Waffer und mehrere hundertausend Ellen tief, wie
ein andrer Baßaschier sagte. Auf den Bülljettc stand, daß das
Dambfschiff 300 Pfcrdedambfschiffarthskräfte hätte; das schien
mir aber doch etwas übertrieben, denn so viel Pferde hätten
außer uns liebe Anverwandten u. s. w. gar keinen Platz nicht
gehabt. Lehmann zitterte sehr, ich drehstete ihn aber und sagte:
»Lehmann Du bist ein Esel, wir versaufen nicht gleich, nur
Kuhrasche mußt Du haben." Oben konnte man es aber nicht
lange aushaltcn und ich fragte daher nach meinen Bette. Ja
aber von einen Bette war keine Rebe nicht, sondern sic zeigte»
mir unten in der Kajüde ein langes vierecklichcs Loch in der
Wand, was noch keine Elle hoch war und da sollte ich mich
hineinlegen. Aber wenn mich Lehmann nicht hineingeschoben
rger Lehmann und Graf ic.
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hätte, so wäre ich auch nicht hineingekommen. Ich lag noch
gar nicht lange, wie ich merkte, daß das Schiff bedeitend an-
fing zu wackeln, was wahrscheinlich von die Matrosens kam,
die immer oben auf den Schiff hin und her liefen. Erst war
mir gans wohl, dann wurde mir aber weniger wohl, dann
wurde mir etwas übel und endlich sehr übel. Ich dachte: Du
mußt doch der infamigen Wirthschaft ein Ende machen; kroch
heraus und lief hinauf, waS man das Verdeckt nennt. Hier
nahm ich einen Matrosen beim Kragen und sagte, wenn das
Laufen und Schaukeln nicht bald aufhörtc, so würde ich mich
noch deitlicher erklären. Aber der lachte mich aus und sagte,
das käme von den Secwellen und ich hätte die Seekrankheit.
Da wäre ich aber vor Schreck bald umgcfallen und konnte
mich kaum wieder bis in die Kajüde schlöppen; aber wie sah
es da aus, Lehmann streckte alle Viere von sich und brillte
immer: „Ach lieber Graf, ich bin schon todt, mausctodt bin ich."
So ging es auch den andern Baßaschüren, so daß der Ma-
trosenjunge der den Dokthor machte, gar nicht genug konnte
behilflich sein. Ich machte es auch so, wie alle andern, liebe
Anverwandten u. s. w., was ich Euch später näher beschreiben
will. Nach sehr vielen Leiten schlief ich ein und wachte erst
auf, wie es Heller Tag war. Ich hatte mich schon Gestern
mit der Jthee hingelcgt, daß ich am andern Morgen todt wäre,
wenn ich aufwachte, aber hingegen jetzt war ich ganz wohl
und Lehmann auch. Wir stiegen hinauf und sahen, daß wir
nicht mehr im Meer, sondern in der Tömse waren, die auf
der Landkarte mitten durch London durchbaßirt. Jetzt sah man
fast gar kein Waffer nicht mehr vor lauter Schiffe» und es
mögen wohl einige hundcrtausende wenn nicht gar noch einige
mehr gewesen sei». Wir fuhren auch an Greenwich vorbei
wo sic auf den Sternobsalvatorium die beriemten Kaländer
machen und wo auch die Erziehungsanstalt vor die alten abge-
nuzten Seeinfaliten ist, was sehr indrchsant zu sehn ist.
(Schluß folgt).
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der wohlangesehene Bürger Lehmann und Graf aus Berne bei Dresden, Reise nach London"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Thema/Bildinhalt (normiert)
Kajüte <Motiv>
Koje <Motiv>
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 13.1851, Nr. 303, S. 115
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg