Ein Tag aus dem Leben zweier ungleichen Gatten.
LS«
„Anbetend möchte ich vergehen in deinem Anblick, um als
Atom mich aufzulösen und das unendliche All zu durchfliegen,
oder in der Tiefe der Meere nach neuen Wundern mich umzn-
schaucn. Die menschliche Brust kann solche Wonnegefühle
nicht gehörig fassen, sie ist zu klein, denn das Irdische, Nie-
drige, Gemeine füllt sie bis zum Ueberschwang an und läßt
nur einen schmalen Raum dem Erhabenen, Uebcrsinnlichcn,
Göttlichen. Nur einzelne Auscrwählte gibt cs, denen eine
Welt voller Ideale sich erschließt, die dem Ewigen naher stehen
als andere staubgeborne Erdenkinder. Doch es ergeht ihnen
wie der Cassandra, man versteht, erkennt sie nicht, und sie
wandeln einsam und verlassen umher und suchen vergebens ein
glcichfühlendes Herz. Zu dieser kleinen Schaar gehöre ich.
Darum bin ich aber auch recht sehr, sehr unglücklich." —
Die eifrige Revnerin schwieg jetzt, trat in das Gartenhaus
zurück und sank wie in Ermattung auf die schwellenden Polster
einer Ottomanne hin. „Was hilft mir Ehre, Reichthum?"
sprach sic nach einer Pause düster vor sich hin. „Beides gab
i mir mein Gatte, aber das innere, das geistige Glück vermochte
er mir nicht zu verleihe». — Blieb aber der Armen, Verlas-
senen eine Wahl? Der reiche Brautwerber ist überall gern
gesehen und das harte Macht- und Zwangwort der Eltern
dringt tief und schwer in des Kindes weiche Seele. — So ist
denn geschehen, was nicht mehr zu ändern. Mcjn
Leben hat von nun an nur'noch einen Zweck, und
diesen einen Zweck will ich verfolgen mit der
ganzen Kraft meines Willens. Ich will cs ver-
suchen den Gatte» zu mir heranzubilden, daß er
gleich mir denkt, fühlt und handelt. Es ist ein
edles Streben und meiner würdig, vielleicht ge-
lingt es mir."
Da schnaubte ein gewaltiger, breitbrüstiger
’ Jagdhund in das kleine, zierliche Gemach herein
und gleich darauf trat ein großer, schöngebauter
junger Manu mit gebräuntem Antlitz und offenen,
I freundlichen Zügen in vollem Iagdornat, die blanke
Büchse auf deni Rücken, zu der plötzlich Verstum-
menden. „Guten Morgen, Thekla," sprach er,
und drückte einen Kuß auf ihre Lippen. „So
zeitig schon im Freien? Ich glaubte dich noch
schlafend, doch belehrte mich dein Mädchen eines
andern, und so bin ich denn gekommen, dich noch
einmal zu sehen, bevor der grüne' Wald unter
sein Dach mich aufnimmt. Es gibt heute einen
wunderschönen Jagdtag."
„Immer die Mordlust!" seufzte die Gattin.
„Wirst du tcun nie für sanftere Freuden em-
pfänglich werden? O, mein Theodor, daß du
doch die Stimme der ewig wahren Natur erken-
nen lerntest, die so mächtig zu ihren Geweihten
redet, daß ich cs doch wäre, die sic dich deuten
! lehrte! —Komm und genieße mit mir!" fuhrsie fort
j und zog den Lächelnden mit sich hinaus ins Freie.
„Höre jetzt," begann sie von Neuem, „wie ein poetisches
Gemüth empfindet und vergiß nur einmal auf Augenblicke deine
entsetzliche Prosa, die mich schon so oft zur Verzweiflung ge-
bracht. — Wende deine Augen dem glühenden Feuerball zu,
den man im gemeinen Leben schlechtweg Sonne nennt, und
sieh, wie er immer weiter und weiter sich emporschwingt und
seine Flammenstrahlen die ganze lebende Schöpfung wach küssen
und in langen, durstigen Zügen den flimmernden Thau von
den Gräsern und Blättern trinken. Und die Blumen mit ihren
Kelchen, und die Bäume aus ihren Kronen, und die Kräuter
auf den Bergen schauen mit den reinen Augen dankend zu ihr
empor und bringen ihr ihre Liebesgrüße dar. — Und wendest
du den Blick zur grünen Erde nieder, welcher Anblick, welches
Entzücken! Drüben blinkt der stille Weiher herüber, dessen
dunkler Schooß manches Gcheimniß birgt. Wandle hinunter
in der Dämmerung des Abends und vernimm die flüsternden
Geisterstimmen, die aus seinen Tiefen dringen, bald in klagen-
den Akkorden, bald in hinschmelzenden Harmonikatönen. Die
Bäume neigen dann tiefer ihre Wipfel und lauschen auf sein
heiliges Rauschen und aus den Zweigen und Blättern heraus
lispeln unzählige Stimmen."
„Aber gute, himmlische Thekla, was faselst du nur wieder
einmal und in welche für dich nachtheilige Aufregung versetzest
LS«
„Anbetend möchte ich vergehen in deinem Anblick, um als
Atom mich aufzulösen und das unendliche All zu durchfliegen,
oder in der Tiefe der Meere nach neuen Wundern mich umzn-
schaucn. Die menschliche Brust kann solche Wonnegefühle
nicht gehörig fassen, sie ist zu klein, denn das Irdische, Nie-
drige, Gemeine füllt sie bis zum Ueberschwang an und läßt
nur einen schmalen Raum dem Erhabenen, Uebcrsinnlichcn,
Göttlichen. Nur einzelne Auscrwählte gibt cs, denen eine
Welt voller Ideale sich erschließt, die dem Ewigen naher stehen
als andere staubgeborne Erdenkinder. Doch es ergeht ihnen
wie der Cassandra, man versteht, erkennt sie nicht, und sie
wandeln einsam und verlassen umher und suchen vergebens ein
glcichfühlendes Herz. Zu dieser kleinen Schaar gehöre ich.
Darum bin ich aber auch recht sehr, sehr unglücklich." —
Die eifrige Revnerin schwieg jetzt, trat in das Gartenhaus
zurück und sank wie in Ermattung auf die schwellenden Polster
einer Ottomanne hin. „Was hilft mir Ehre, Reichthum?"
sprach sic nach einer Pause düster vor sich hin. „Beides gab
i mir mein Gatte, aber das innere, das geistige Glück vermochte
er mir nicht zu verleihe». — Blieb aber der Armen, Verlas-
senen eine Wahl? Der reiche Brautwerber ist überall gern
gesehen und das harte Macht- und Zwangwort der Eltern
dringt tief und schwer in des Kindes weiche Seele. — So ist
denn geschehen, was nicht mehr zu ändern. Mcjn
Leben hat von nun an nur'noch einen Zweck, und
diesen einen Zweck will ich verfolgen mit der
ganzen Kraft meines Willens. Ich will cs ver-
suchen den Gatte» zu mir heranzubilden, daß er
gleich mir denkt, fühlt und handelt. Es ist ein
edles Streben und meiner würdig, vielleicht ge-
lingt es mir."
Da schnaubte ein gewaltiger, breitbrüstiger
’ Jagdhund in das kleine, zierliche Gemach herein
und gleich darauf trat ein großer, schöngebauter
junger Manu mit gebräuntem Antlitz und offenen,
I freundlichen Zügen in vollem Iagdornat, die blanke
Büchse auf deni Rücken, zu der plötzlich Verstum-
menden. „Guten Morgen, Thekla," sprach er,
und drückte einen Kuß auf ihre Lippen. „So
zeitig schon im Freien? Ich glaubte dich noch
schlafend, doch belehrte mich dein Mädchen eines
andern, und so bin ich denn gekommen, dich noch
einmal zu sehen, bevor der grüne' Wald unter
sein Dach mich aufnimmt. Es gibt heute einen
wunderschönen Jagdtag."
„Immer die Mordlust!" seufzte die Gattin.
„Wirst du tcun nie für sanftere Freuden em-
pfänglich werden? O, mein Theodor, daß du
doch die Stimme der ewig wahren Natur erken-
nen lerntest, die so mächtig zu ihren Geweihten
redet, daß ich cs doch wäre, die sic dich deuten
! lehrte! —Komm und genieße mit mir!" fuhrsie fort
j und zog den Lächelnden mit sich hinaus ins Freie.
„Höre jetzt," begann sie von Neuem, „wie ein poetisches
Gemüth empfindet und vergiß nur einmal auf Augenblicke deine
entsetzliche Prosa, die mich schon so oft zur Verzweiflung ge-
bracht. — Wende deine Augen dem glühenden Feuerball zu,
den man im gemeinen Leben schlechtweg Sonne nennt, und
sieh, wie er immer weiter und weiter sich emporschwingt und
seine Flammenstrahlen die ganze lebende Schöpfung wach küssen
und in langen, durstigen Zügen den flimmernden Thau von
den Gräsern und Blättern trinken. Und die Blumen mit ihren
Kelchen, und die Bäume aus ihren Kronen, und die Kräuter
auf den Bergen schauen mit den reinen Augen dankend zu ihr
empor und bringen ihr ihre Liebesgrüße dar. — Und wendest
du den Blick zur grünen Erde nieder, welcher Anblick, welches
Entzücken! Drüben blinkt der stille Weiher herüber, dessen
dunkler Schooß manches Gcheimniß birgt. Wandle hinunter
in der Dämmerung des Abends und vernimm die flüsternden
Geisterstimmen, die aus seinen Tiefen dringen, bald in klagen-
den Akkorden, bald in hinschmelzenden Harmonikatönen. Die
Bäume neigen dann tiefer ihre Wipfel und lauschen auf sein
heiliges Rauschen und aus den Zweigen und Blättern heraus
lispeln unzählige Stimmen."
„Aber gute, himmlische Thekla, was faselst du nur wieder
einmal und in welche für dich nachtheilige Aufregung versetzest
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Ein Tag aus dem Leben zweier ungleichen Gatten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 13.1851, Nr. 307, S. 150
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg