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Ein Tag aus dem Leben

während die Augen forschend auf dem schönen ManneSantlitz
des Gatten ruhten. „Deine Sorgfalt um mich thut mir so wohl."

„Deine Frage schmerzt mich, doch verzeihe ich sie dir," gab
dieser zur Antwort. „Daß ich dir zugethan bin in treuer
Liebe, weißt du, mußt du wißen. Wir wären das glücklichste
Paar von der Welt, wenn nicht deine unselige Manie, Alles
nnr»dich her aus einem andern Gesichtspunkte zu betrachten, so
oft störend, ja wohl feindlich zwischen uns träte. Diese deine
Sucht nach dem Idealen, Hochromantischen erstreckt sich häufig
bis auf die kleinsten Lebensverhältnisie und tritt zu schroff
meiner eignen DenkungSweise entgegen, als daß nicht täglich
kleine Zwistigkeiten, wie die soeben stattgefundeucn, zwischen
uns Vorkommen sollten. Bedenke aber nur selbst, liebe Thekla,
was aus meiner schönen Besitzung werden würde, wenn ich,
gleich dir, fortwährend mit meiner Phantasie in luftigen Re-
gionen mich herumtummeln wollte. Es müßte in der Wirth-
schaft nothwendig Alles drunter und drüber gehen, während
wir gemeinschaftlich da Oben umhersegelten, und wenn wir,
von der anstrengenden Reise ermüdet, einmal wieder mensch-
liche Bedürfnisse wie andere Erdenkinder fühlten, könnte leicht
der Fall cintretcn, daß wir mit drängenden, höchst unpoctischen
Gläubigern zu verkehren hätten, welches Geschäft unserm ver-
wöhnten ästhetischenGeschmacke ganz und gar nicht zusagenwürde."

„Du trägst mit zu grellen Farben auf!" schalt die Gattin ein.

„Nicht doch," versetzte dieser. „Es würde, es müßte so
kommen. Schau aber jetzt einmal hinab auf die zu unfern
Füßen sich ausbreitcnden Fluren, die ihr herrliches Gedeihen
meiner nüchternen Thätigkeit verdanken, und fühle mit mir,
wie schön es ist einer solchen Schöpfung sich zu erfreuen, der
unser Herrgott allerdings auch seinerseits Schutz und Gnade
verliehen. Dort die grünen Wiesen mit dem üppigen Gras-
wuchs waren vor wenigen Jahren nichts als sumpfige Moräste,
die kein Mensch, ohne zu versinken, betreten konnte. Ich opferte
die höchst ergötzliche Bekassinenjagd der Stallfütterung, ließ
Abzugskanäle graben, Erde auffahren, das nutzlos empor-
wuchernde Gesträuch abschlagen und was dergleichen mehr war.
Noch jetzt führe ich die zu solchen Geschäften höchst nöthige
Waage in der Jagdtasche bei mir, um sie in verkommenden
Fällen gleich bei der Hand zu haben. Die Dreifelder-Wirth-
schaft wandelte ich in die Wechsel-Wirthschaft um, über deren
Nutzen ich mich des Längeren verbreiten könnte, wenn ich
deine Geduld zu ermüden nicht befürchten müßte. Auch den
Wechsel der Witterung, wie andere Unglücksfälle erwägend,
die da aller Vorsicht zum Trotz eintreten können, habe ich
sämmtliches Halmgetreide in der concessionirten Hagelasse-
curanz des Landes und unsere schönen Meublcs in der Mo-
biliar-Brandversicherungs-Bank bestens versichert, denn die
weiße Schlossenwolke zieht schnell vernichtend daher und, was
das Feuer betrifft, so hat sich Schiller in seiner „Glocke"
des Weiteren darüber ausgesprochen. Alle diese schönen Ein-
richtungen und Verbesserungen wären aber wie viele andere
unterblieben, wenn ich in unthätiger Ruhe die Natur in
ihrem geheimnißvollen Wirken hätte belauschen wollen, blos
um meinen phantastischen Träumereien nachzuhängen."

zweier ungleichen Gatten.

„Das heißt mit andern Worten," begann jetzt Thekla, „ich
lebe, um Moräste in tragbare Wiesen zu verwandeln, schönes
Getreide zu erbauen, dafür zu sorgen, daß der durch böse
Witterungseinflüsse mir zugefllgte Schaden vergütet wird,
und lege mich endlich hin, um nie wieder aufzustehen. Ob
aber das Leben auf dieser Erde eine höhere Bestimmung
hat, ob cs als eine Vorbereitung zu einem einstigen bessern
Sein zu betrachten ist, das gilt mir gleich, habe ich nur
den oben angeführten Zweck erreicht."

„Mitnichten," versetzte Theodor. „Auch mir ist die große
Natur Lehrmeisterin, auch ich verehre ihr mächtiges Walten,
doch ist mein Verstand vorherrschender als mein Gefühl.
Ich bin leidenschaftlicher Jäger. Um nur einen Fall anzu-
führcn, will ich Dir beweisen, daß auch bei Befriedigung der
Waidmannslust der denkende Mann Gelegenheit hat, die Größe
GotteS in seinen Gcscböpfcn zu erkennen, ohne dabei zu nebeln
und zu schwebeln. — Sieh hier das Buch aller Bücher, das
ich bei meinen Jagdstreifereien stets bei mir führe, um mir in
zweifelhaften Fällen Rath in ihm zu erholen," fuhr er fort
und zog ein grün eingebundenes, mit reichem Goldschnitt ver-
ziertes Buch aus der Waidmannstasche. Der Titel lautet:
„ Handbuch fü r Jäg er, Jagdberechtigt e und Jagdlieb-
haber, von George Franz Dietrich aus dem Winkelt.
Leipzig, 1805 bei Heinrich Gräff. Nun merke wohl auf.
In diesem Meisterwerke sagt der geschätzte Verfasser Seite 173,
daß es 72 Kennzeichen gibt, durch welche sich in der
Fährte der Hirsch vomThiere unterscheidet. Ist man
da nicht gezwungen, die Macht des Schöpfers wie den Scharf-
sinn des Menschen staunend zu bewundern? So sagt George
Franz Dietrich aus dem Winkell z. B. § 7: „„Das Zu-

rückbleiben oder Hinterlaffen entsteht, wenn die Fährten der
hintern Schalen zwei bis drei Finger breit gerade hinter
.den vorder» sich in den Boden eingedrückt haben. Nur alte,
steife Hirsche machen dies Zeichen, weil ihre Sehnen sich
nicht hinlänglich dehnen. Das alte, tragende Thier bleibt
auch zuruck, aber man wird bemerken, daß dann die Hinter-
fährte immer etwas seitwärts gegen die vordere steht."

„Wenn du deinen Scherz mit mir treiben willst, ist cs
jetzt genug; entsprang aber das vorhin von dir Gesagte deiner
inner« Ueberzeugung, dann kann ich dich nur bedauern,"
sprach Thekla gereizt, erhob sich vom Sitze und trat rasch
an das Eiscngeländer, das in der Entfernung weniger
Schritte vom Pavillon längst deS Berges sich hinzog.

Theodor sah ihr lächelnd nach und blätterte ruhig im
Buche weiter. Nicht lange darauf declamirte die junge Frau
mit glockenreiner Stimme folgende Strophen:

Schöne Welt, wo bist du? Kehre wieder.

Holdes Blüthenalter der Natur!

Ach, nur in dem Feenland der Lieder
Lebt noch deine fabelhafte Spur.

Ausgestorben trauert da« Gefilde,

Keine Gottheit zeigt sich meinem Blick;

Ach, von jenem lebewarmen Bilde
Blieb der Schatten nur zurück!
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