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162

Ein Tag auS dem Leben z

ersehnten Mahlzeit rief, noch sah sie die längern Schatten,
welche die allmählig sich tiefer neigende Sonne in's Zimmer warf.

Endlich war die letzte Seite des zweiten Bogens vollge-
schrieben, die junge Frau spritzte unter einem tiefen Seufzer
die Feder aus, erhob sich und taumelte auf die Ottomane hin,
um gleich darauf dem Schlummer der Uebermüdung in die
Arme zu sinken. —

Während Thekla, dem Drange ihres Herzens folgend, die
Schwingen zum Fluge auf die Höhen des Parnaß regte und
endlich von der weiten, ermüdenden Reise erschöpft dem Gott
Morpheus ein reichliches Opfer darbrachte, durchstreifte Theodor
mit einigen befreundeten heitern Jagdgenossen den grünen
Wald, und die eifrigen Waidmänner achteten nicht des sengen-
den Sonnenstrahles, der glühend auf ihre Scheitel herabbrannte,

- noch der steilen Bergwand oder des ritzenden Dorngesträuchs.
Der aufgescheuchte Hirsch, von der nachsetzenden Meute rastlos
verfolgt, durchbrach das Dickicht, raste über Haide und Moor
dahin, durchschwamm den einsamen Waldteich, oder suchte
durch Widergänge seine nicht zu ermüdenden Feinde zu täuschen.
Umsonst. Nach kurzer Ruhe zwang ihn der weithinschallende
Laut der Hunde, einem vielstimmigen Glockenspiele nicht unähn-
lich, zur erneueten Flucht, bis es Theodor gelang, mit gewohn-
ter Meisterschaft aus sicherm Rohre die tödtende Kugel ihm
zuzuscnden. Unter dem jauchzenden Hallali der Jäger verendete
der brave Hirsch, und mit dem grünen Bruche, dem waidge-
rechten Siegeszeichen an der Mütze, den Abglanz der befrie-
digten Jagdlust auf dem Antlitz, trat Thekla's Gatte den
Heimweg an, nachdem seine Genossen manch kernigen Glück-
wunsch ihm zugerufen.

Als der Jägersmann bei dem uns wohlbekannten Pavillon,
dessen Kuppel eben die letzten Strahlen der scheidenden Sonne
vergoldeten, angekommen war und rasch an ihm vorbei dem
Schlosse zuschreiten wollte, erstaunte er nicht wenig, die Thür
geöffnet zu stnden. Sein Erstaunen steigerte sich aber zur
Verwunderung, als er seine Gattin auf dem Sopha sitzend
erblickte, die bei seiner Ankunft sich schnell erhob und unter
den Worten: „Guten Abend, lieber Theodor!" auf ihn zueilte.

„Du hier?" fragte dieser unter ihrem Kusie, angenehm
überrascht.

„Freilich wohl," versicherte Thekla, „in höchst eigener,
leibhaftiger Gestalt. — Du grollst doch nicht mehr? Von
meiner Seite ist Alles vergeben und vergessen, kannst auch
! du vergeben und vcrgesien?"

„Ob ich es kann?" fragte der junge Mann und drückte die
1 zarte Frauengestalt fester an seine Brust. „Es erfüllt mein
Herz mit der unaussprechlichsten Freude, dich so zu finden und
also sprechen zu hören. Sei überzeugt, daß ich dir gar nicht
gezürnt habe und daß ich dich unaussprechlich liebe."

„Ich danke dir für diesen Beweis deiner Zuneigung wie
deiner Versöhnlichkeit," versetzte die Gattin und strich mit dem
weißen Battisttuche liebkosend über Theodors glühendes Gesicht.
— „Sieh, ich habe dich hier erwartet," fuhr sie dann weiter
zu sprechen fort. „Wie freut eS mich, daß meine Hoffnung,
dich hier und gerade jetzt zu sehen, erfüllt worden ist. So

weier ungleichen Gatten.

vernimm denn auch, daß ich recht fleißig, recht sehr fleißig
gewesen bin. Die Arbeit ist mir aber nach einiger Ruhe un-
gemein gut bekommen und das Bewußtsein, meine Zeit nützlich
angewendet zu haben, hat mich ungemein heiter gestimmt."

„Deine Rede entzückt mich, liebes Weib, und macht mich
unaussprechlich glücklich," gab Theodor zur Antwort und seine
Blicke hafteten mit dem unverkennbaren Ausdrucke hoher Liebe
auf dem feinen, fast mädchenhaften Antlitze der jungen Frau.
„Was hat aber deine Thätigkeit also in Anspruch genommen? —
Doch halt! soeben fällt es mir ein. Unsere Gäste, die auf
morgen sich angesagt haben, nicht wahr? Du hattest zu schlichten
und zu ordnen in dem Keller und auf dem Speicher nach dem
Rechten zu sehen, hier Befehle auszutheilen, dort dich zu über-
zeugen, ob man deinen Anordnungen Folge geleistet, so daß
dein Mühen in der Thal nicht klein war. Die Truthühner-
pastete für den Onkel Heinrich und die Forellen mit den
Mohnklösen für den Vetter Fritz hast du dabei sicher nicht
vergessen. Auch genießt Elfterer nur am Spieße gebratenes
Fleisch und in Casserolen gedünstete Gemüse —"

„Ich werde dir nachher über mein heutiges Thun und
Treiben Rechenschaft ablegen," fiel Thekla mit etwas unsicherer
Stimme ein und eine feine Röthe färbte Wangen und Stirn.
„Jetzt aber berichte, ob das Jagdglück dir heute günstig gewesen
und was sich sonst auf deinen Streifereien begeben."

„Ich begreife dich heute weniger als je," versetzte Theodor.
„Eine ähnliche Frage hast du noch nie an mich gerichtet."

„Ich gestehe offen, daß ein kleiner Eigennutz meiner Frage >
zum Grunde liegt," erklärte die Gattin. „Während ich jetzt
der Aufzählung deiner Abentheuer im Walde meine vollste i
Aufmerksamkeit widmen werde, ersuche ich dich später dein un- >
getheiltes Interesse mir, oder vielmehr einem von mir zu hal- >
tenden Vortrage zu schenken."

„Du bist heute ganz seltsam," gestand der junge Mann.
„Indessen der Originalität wegen will ich deiner Laune Nach-
kommen. So wisse denn, daß ich einem Hirsch, angehendem
Ender, in voller Flucht die Kugel mitten auf's Blatt gesetzt,
daß derselbe noch vierhundert dreiundzwanzig Schritte im Holze
fortgezogen, sodann von den Hunden gestellt und später von ihnen
niedergezogen worden ist, worauf ich ihm den Nickfang gege-
ben. An der Aufzählung noch mehrerer Einzelnheiten wird dir
eben nicht viel gelegen sein und somit bin ich denn zu Ende."

„Du warst unstreitig sehr glücklich," versetzte Thekla zer-
streut und ein etwas weniger Unbefangener als Theodor würde
aus dem unstäten Wesen der jungen Frau auf eine innere
geistige Erregung und den Wunsch, ein Ereigniß baldmöglichst
herbeizuführen, das für sie von Wichtigkeit sein mußte, ge-
schlossen haben. „Nun ist die Reihe an mir," fuhr sie mit
Hast fort. „Hier in diesem Journale las ich neulich den An-
fang einer Novelle. Ich enthalte mich vor der Hand jeder
Aeußerung über dieselbe, werde sie dir, soweit der Tert aus-
reicht, vorlesen, und dann ein strenges und unpartheiisches
Urtheil darüber von dir mir erbitten."

Die Einwendung Theooors, daß er zum Kunstrichter nicht
tauge, wurde unbedingt verworfen, er selbst aber mit liebe-
Bildbeschreibung
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