verstohlenes Küßchcn, also nicht gerade gefährlich. Und doch
gefährlich. Denn gerade an dem glückseligen Abende, als
Meister Fcilmann seine Aufgabe glücklich gelöst und ei» Schloß
construirl Halle, das auch nicht einmal mil dem dazu gefertig-
ten Schlüssel geöffnet werden konnte, verstehe mich wohl, lieber
Leser, ohne Kenntniß des Geheimnisses seiner Anwendung und
mancher andern Chikane, und voll Freude und Stolz anS seiner
Werkstatt nach langer Arbeit nach Vorne ging, da sah er ...
nein, gesehen hat er eigentlich nichts, denn dazu war's viel zu
dunkel,, aber er hörte cs; also da hörte er ein gewisses Etwas
au« dem Winkel der Thorfahrt, was auf's Haar dem Schmatzen
eines langen, langen Kusses glich. Ich kann de» Ton nicht
näher beschreiben und muß eS dem geneigten Leser überlassen,
ihn sich vorzustellctt; nur das Eine will ich nicht verschweigen,
daß dieser Ton, dieses Geräusch auch den, Zuhörcndcn durch
Mark und Bein geht. Nun war Meister Feilmann sonst bei
anderen vorkommcndcn Gelegenheiten verständig genug, stch
nicht zum unberufenen Mitwisser dergleichen heimlicher Freuden
und Genüsse zu machen, besonders wenn stc im Dunkeln unter
der Thorfahrt erercirt wurden, denn er dachte immer: „Leute
die sich im Dunkeln küssen, müssen wohl bei Hellem Tage keine !
Zeit dazu haben und dann. ist'S ihnen zu gönnen." und wollte j
auch jetzt eben leise davon schleichen. Aber so ein aller ehr-
barer Wittwer bleibt doch auch nicht kalt und ohne alle Em- !
psindung, wenn er den gehcimnißvollen und doch so verrätheri-
schcn schmatzenden Ton der Lippen in' der Nähe hör,. Ei»
warmeS Prickeln übcrlicf feinen ganzen Körper. „Donner- !
wetter!» dachte er, „der muß wohl gut gemundet haben, sonst
hätten sic ihn nicht so lang gezogen wie ein Gebinde Draht," !
und der Gedanke an den Draht brachte ihn, Gott
weiß durch welche Jdeenverbindung, auf den Ge-
danken, daß das kein Anderer sein könne, als sein
infamer Schlingel von Lehrburschcn, der, wie er
längst gemerkt, mit Geheimraths Kindcrniädchen
gern liebäugelte. „Weiß ich nun," dachte er bei
sich, „warum der Schlingel immer so lange aus-
blcibt, wenn ich ihn weggcschickt habe! Aber
ich will Dir küssen helfen. Du Fant Du! kaum
der Schule entlaufen und noch nicht einmal auS
der Lehre!" Leise schlich er näher hinzu; ach! die
bcmcrkten's im Rauscht ihrer Gefühle
nicht und als eben wieder ei» langer, schmachten-
der Kuß sich hören ließ, war er in ihrer Nähe
ab' ich Dich endlich einmal erwischt, Du
Lausejunge!" rufend, sprang er auf die
und ließ seine gewaltige Hand so gc-
die Schultern des Küssenden sinken,
nur so knackten, lebhaft bedauernd, in diesem
gesegneten Augenblicke sei» spanisches Rohr nicht
bei der Hand zu haben, um dem Jungen das Leder
zu versohlen. Die Liebenden sprangen natürlich
vom Donner gerührt auseinander, sic hier hin
eitlen Winkel, er dorthin in einen Winkel. Aber
i so leicht gab der Alte feine Jagd nicht aus. Er sprang nach
! und erwischte richtig das Schurzfell? nein! einen Rockschvoß,
dessen bloße Berührung ihn sofort darüber in's Klare brachte,
daß cS seines Lehrburschcn Schurzfell nicht war; denn er war
von seinem, weichen Tuch, das konnte eine blinde Frau mit
dem Stocke fühlen. Sofort seine» Jrrthum erkennend, war
er d'rauf und d'ran, sich zu entschuldigen, so gestört zu haben,
und er hätte es altch gewiß gethan, wenn itrni der Ergriffene
nicht zuvorgckommcn und glatt und schwipp wie ein Aal unter
seiticn Händen entwischt und zu der offcnstchendcn Hausthür
verschwunden wäre. WaS war nun zu tbun? Nu» das
Klügste war, sich nun selbst leise davon zu machen und Meister
Feilmann hätte cS auch sicherlich gethan, wen» nicht just in
diesem Augenblicke aus dem andern Winkel der Thorfahrt sich
die Zentncrangst der andern Verborgenen in den Worten Luft
gemacht hätte: „Ach Vater! lieber Vater! sei nicht böse.»
Jetzt war aber der gute Meister Fcilmann an der Reihe,
wie vom Donner gerührt zu werden. Denn da« war ja Ro-
finchen« Stimme. „Mädchen! Rosine! bist Du's?» stotterte
er vor Schreck und Ueberraschung. „Aber warum läuft denn
der Falzinann wie ein Narr davon? Er brauch,'« ja nur zu
sagen, daß cr'S war; das ist ja kein Unglück, wenn sich junge
Leute, die für einander bestimmt sind, sprechen und küssen.
Ha! ha! ha!» fuhr er fort und lachte laut auf, „ich muß
«ahrdaftig über den närrischen Buchbinder lachen! reißt au«
wie Kalblcdcr und Pappe! Kann dich vor Blödigkeit am Tage
kaum ansehcn und Abends im Finstern hat er solche Eouragc!
Da mach' Einer VrrS drauf!"
(Fortsetzung folgt.)
gefährlich. Denn gerade an dem glückseligen Abende, als
Meister Fcilmann seine Aufgabe glücklich gelöst und ei» Schloß
construirl Halle, das auch nicht einmal mil dem dazu gefertig-
ten Schlüssel geöffnet werden konnte, verstehe mich wohl, lieber
Leser, ohne Kenntniß des Geheimnisses seiner Anwendung und
mancher andern Chikane, und voll Freude und Stolz anS seiner
Werkstatt nach langer Arbeit nach Vorne ging, da sah er ...
nein, gesehen hat er eigentlich nichts, denn dazu war's viel zu
dunkel,, aber er hörte cs; also da hörte er ein gewisses Etwas
au« dem Winkel der Thorfahrt, was auf's Haar dem Schmatzen
eines langen, langen Kusses glich. Ich kann de» Ton nicht
näher beschreiben und muß eS dem geneigten Leser überlassen,
ihn sich vorzustellctt; nur das Eine will ich nicht verschweigen,
daß dieser Ton, dieses Geräusch auch den, Zuhörcndcn durch
Mark und Bein geht. Nun war Meister Feilmann sonst bei
anderen vorkommcndcn Gelegenheiten verständig genug, stch
nicht zum unberufenen Mitwisser dergleichen heimlicher Freuden
und Genüsse zu machen, besonders wenn stc im Dunkeln unter
der Thorfahrt erercirt wurden, denn er dachte immer: „Leute
die sich im Dunkeln küssen, müssen wohl bei Hellem Tage keine !
Zeit dazu haben und dann. ist'S ihnen zu gönnen." und wollte j
auch jetzt eben leise davon schleichen. Aber so ein aller ehr-
barer Wittwer bleibt doch auch nicht kalt und ohne alle Em- !
psindung, wenn er den gehcimnißvollen und doch so verrätheri-
schcn schmatzenden Ton der Lippen in' der Nähe hör,. Ei»
warmeS Prickeln übcrlicf feinen ganzen Körper. „Donner- !
wetter!» dachte er, „der muß wohl gut gemundet haben, sonst
hätten sic ihn nicht so lang gezogen wie ein Gebinde Draht," !
und der Gedanke an den Draht brachte ihn, Gott
weiß durch welche Jdeenverbindung, auf den Ge-
danken, daß das kein Anderer sein könne, als sein
infamer Schlingel von Lehrburschcn, der, wie er
längst gemerkt, mit Geheimraths Kindcrniädchen
gern liebäugelte. „Weiß ich nun," dachte er bei
sich, „warum der Schlingel immer so lange aus-
blcibt, wenn ich ihn weggcschickt habe! Aber
ich will Dir küssen helfen. Du Fant Du! kaum
der Schule entlaufen und noch nicht einmal auS
der Lehre!" Leise schlich er näher hinzu; ach! die
bcmcrkten's im Rauscht ihrer Gefühle
nicht und als eben wieder ei» langer, schmachten-
der Kuß sich hören ließ, war er in ihrer Nähe
ab' ich Dich endlich einmal erwischt, Du
Lausejunge!" rufend, sprang er auf die
und ließ seine gewaltige Hand so gc-
die Schultern des Küssenden sinken,
nur so knackten, lebhaft bedauernd, in diesem
gesegneten Augenblicke sei» spanisches Rohr nicht
bei der Hand zu haben, um dem Jungen das Leder
zu versohlen. Die Liebenden sprangen natürlich
vom Donner gerührt auseinander, sic hier hin
eitlen Winkel, er dorthin in einen Winkel. Aber
i so leicht gab der Alte feine Jagd nicht aus. Er sprang nach
! und erwischte richtig das Schurzfell? nein! einen Rockschvoß,
dessen bloße Berührung ihn sofort darüber in's Klare brachte,
daß cS seines Lehrburschcn Schurzfell nicht war; denn er war
von seinem, weichen Tuch, das konnte eine blinde Frau mit
dem Stocke fühlen. Sofort seine» Jrrthum erkennend, war
er d'rauf und d'ran, sich zu entschuldigen, so gestört zu haben,
und er hätte es altch gewiß gethan, wenn itrni der Ergriffene
nicht zuvorgckommcn und glatt und schwipp wie ein Aal unter
seiticn Händen entwischt und zu der offcnstchendcn Hausthür
verschwunden wäre. WaS war nun zu tbun? Nu» das
Klügste war, sich nun selbst leise davon zu machen und Meister
Feilmann hätte cS auch sicherlich gethan, wen» nicht just in
diesem Augenblicke aus dem andern Winkel der Thorfahrt sich
die Zentncrangst der andern Verborgenen in den Worten Luft
gemacht hätte: „Ach Vater! lieber Vater! sei nicht böse.»
Jetzt war aber der gute Meister Fcilmann an der Reihe,
wie vom Donner gerührt zu werden. Denn da« war ja Ro-
finchen« Stimme. „Mädchen! Rosine! bist Du's?» stotterte
er vor Schreck und Ueberraschung. „Aber warum läuft denn
der Falzinann wie ein Narr davon? Er brauch,'« ja nur zu
sagen, daß cr'S war; das ist ja kein Unglück, wenn sich junge
Leute, die für einander bestimmt sind, sprechen und küssen.
Ha! ha! ha!» fuhr er fort und lachte laut auf, „ich muß
«ahrdaftig über den närrischen Buchbinder lachen! reißt au«
wie Kalblcdcr und Pappe! Kann dich vor Blödigkeit am Tage
kaum ansehcn und Abends im Finstern hat er solche Eouragc!
Da mach' Einer VrrS drauf!"
(Fortsetzung folgt.)
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Assessor im Wandschrank"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)
Literaturangabe
Rechte am Objekt
Aufnahmen/Reproduktionen
Künstler/Urheber (GND)
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 23.1856, Nr. 540, S. 91
Beziehungen
Erschließung
Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
Universitätsbibliothek Heidelberg