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^ 138 Der kleine

Kaum hatte sich der Deckel des Koffers geschloffen, als
die Thüre des Zimmers geräuschvoll geöffnet ward. Der ein-
gespcrrtc Held hörte die Worte auSstoßcn:

„Bist Du fertig, Cäcilie? Der Wagen steht vor der
Thür — steigen wir ein!"

„Ach, mein lieber Mann, ich bin krank, gehe und hole
den Arzt-"

»Eine neue Laune!" antwortete barsch der Ehemann.
„Hältst Du mich für so dumm, daß ich auch nur einen Augen-
blick an Deine erkünstelte Krankheit glaube? Du bist nie so
j gesund gewesen, als jetzt. Wenn Du nicht willst, daß ich die
! Liebschaft mit jenem Narren, dem Herrn Anatol v. F. für
wahr halte, so folgst Du mir auf der Stelle in den Reiscwagen."

Ohne weiter ein Wort zu äußern, legte CäcilienS Mann
| ein solides Vorhängeschloß an den Koffer und drehte knarrend
den Schlüssel um. Dann rief er zwei breitschulterige Arbeiter
herbei, die den gewichtigen Koffer emporhobcn und die Treppe
hinabtrugen. DaS Ehepaar folgte. Einige Augenblicke später
war daS Collo hinten auf dem schwerfälligen Reiscwagen be-
festigt, der Polternd davon fuhr und Pyrmont verließ.

Der arme Anatol war sich dcS Vcrhängnißvollcn seiner
Lage nicht recht bewußt gewesen; als er sich aber cmpvrgc-
hobcn fühlte und daS Raffeln der Ketten hörte, mit denen
man den Koffer auf dem Wagen befestigte, schnürte eine
furchtbare Angst seine Brust zusammen.

„WaS wird auS mir werden? Wohin bringt man mich?
Ob ich je wieder das Licht dcS TagcS erblicke? Mein Gott,
was soll ich beginnen, wenn mich Angst und Schrecken nicht

Diese Grabesgcdankcn beschäftigte» den lebendig cinge-
sargtcn Anatol. Er tappte mit den zitternden Händen nach
allen Seiten um sich — überall berührte er harte Wände.
Jeder Stoß des Wagens erpreßte ihm einen Seufzer und da
der Weg schlecht und holpricht war, erhielt die schwerfällige
Ehaise manchen Stoß. ES läßt sich denken, wie Kopf, Schul-
tern, Rücken und Hüften des unglücklichen Liebhabers schmerz-
lich durchrüttclt wurden. Anatol schwor bei allen Heiligen
nie wieder ein Liebesabenteuer zu unternehmen, und bat den
Himmel um baldige Erlösung. Aber der Himmel war taub,
der Wagen rollte unbarmherzig weiter. Nach einiger Zeit
fühlte Anatol an der fanftcrn Bewegung, daß man aus einer
ebenen Sttaßc fuhr. DaS waren dem armen kleinen Manne
süße Augenblicke der Erholung. Aber bald belehrten ihn die
Peitschenhiebe des Postillions und ein gewaltiger jäher Stoß
des Wagens, daß man einen Querwcg einschlug, der mit
jedem Augenblicke den Rädern große Hindernisse bot. Krachend ,
ward der Wagen von einer Seite zur andern geworfen. Die
Pein wurde unerträglich und Anatol, zerschmettert an Körper
und Geist, verfiel in eine ohnmachtähnliche Bewußtlosigkeit,
auS der ihn ein fürchterliches Getöse nach einiger Zeit erweckte.
Man hörte Schreien, Fluchen und das Knallen der Peitsche.
Anatol lauschte mit angchaltcnem Athcm.

! „Dummer Teufel," rief Cäcilien'S Mann, „Du hast die
rechte Fahrstcllc durch den Bach verfehlt!"

Der Wagen fetzte sich langsam in Bewegung und Anatol
j hörte mit Entsetzen das Rauschen des Wassers, daS unter ihm
sich fortwälztc. Der Postillion hieb noch einmal auf die
J Pferde, der Wagen rückte weiter und daS Wasser drang in
den Koffer. Anatol gab die Hoffnung auf, je wieder die
Sonne zu erblicken. Die Todesangst beraubte ihn der Besinnung.

Das unerwartete und reichlich gespendete Bad hatte in-
deß für unser» kleinen Freund keinen andern Nachthcil, als
daß ihn ein ziemlich starker Frost durchschüttclte. Er erwachte
wieder/ und mit dem Nachthcilc verband sich der Vortheil, daß
er kaltblütig über die wahren Jnconvcnicnzen seiner Lage Nach-
denken konnte. Vor allen Dingen sagte er sich zum Tröste
daß Cäcilie, die ihn so wohlwollend empfangen, seinen Unter-
gang nicht beabsichtigen könne. Dann zweifelte er durchaus
' nicht daran, daß sic ihn zur geeigneten Zeit bcftcicn würde,
da seine Anwesenheit im Koffer sic gräßlich blainircn müsse —
sie, die Frau eine» Landpfarrers.

Kaum hatte Herr Anatol durch diese Bcttachtungcn sich
ein wenig gettöstct, als feine Eitelkeit wieder erwachte. „Liebt
Dich Cäcilie nicht?" fragte er sich. „Giebst Du nicht einen
■ großen Beweis Deiner Liebe, wenn Du, um sic nicht zu bla- I
mircn, ruhig in dieser peinlichen Lage auSharrst, in die du i
ihrelwcgen gekommen bist? Die Frauen sind stets geneigt, die i
! Liebe zu belohnen, die sich durch Opfer kund gibt.

In diesem Augenblicke brüllte eine rauhe Stimme: „halt!"

; Der Wagen hielt an, und Anatol, der kaum Getröstete, hörte
mehrere Gewehrschüsse. Das Echo verrieth, daß man sich in
einem Walde befand. Ein Kampf entspann sich. Das Schreien,
Wimmern und Fluche» dauerte noch eine» Augenblick fort,
dann ttat eine TodeSstillc ein. Anatol schauderte zusammen.
Seine Sinne, geschwächt durch die erschütternden Begebnisse der
Nacht, verwirrten sich. Ihm war, als ob er die Beute eines
fürchterlichen Traumes fei. Aber auch diese Illusion sollte
nicht lange dauern. Die Ketten, die den Koffer an den Wagen
fesselten, wurden gelöst, und die Holzhülle, die den armen
Anatol umschloß, stürzte hcfttg zu Boden. Die Banditen
schienen Rath zu halten, wohin sie ihre Beute schaffen sollten
und Anatol hörte mit Entsetzen die schrecklichen Worte:

„Der Mann ist erschossen und die junge Frau scheint
vor Schrecken gestorben zu sein. Der Postillon ist entsprungen
und wird wahrscheinlich Hülfe holen — tragen wir rasch daS
Gepäck in unser Versteck, wir können es dort ungestört unter-
suche» und theilen."

Die Banditen hoben den Koffer empor, ttugen ihn einige
Minuten lang und setzten ihn dann zu Boden.

„Kapitän," sagte eine Stimme, „wir haben zwar auf
dem Reiscwagen nur einen Koffer gefunden, aber er hat ein
, respektables Gewicht. Sein Inhalt wird uns für die bisher
> verfehlten Unternehmungen entschädigen. Element, welch ein
| Koffer! Meine Schulter ist wie gelähmt!"

„Wo ist der Mann, der im Wagen saß?"
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