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62 Der zweimal Gehängte

Jene, vor welchen man gcjlvhcn war, erschienen im näm-
! lichrn Augenblicke unter dem Galgcnbaumc. Der Müller, ein
unerschrockener, menschenfreundlicher Mann, wußte nichts Eiligeres
zu thun, als die Leiter hinan zu klimmen, indem er seinem
Knechte zurics:

„Wir haben's hier nicht mit Geistern zu thun! Ein
Menschenleben ist zu retten, und wir wollcn'ü einmal versuchen !"

„Ja, der Kerl scheint Freude am Leben zu haben!" meinte
dieser und hals seinem Herrn treulich bei dem mcnschcnfreund-
j lichcn Geschäfte, indem er ihm die Leiter hielt. Mit einem
raschen Schnitt eines großen Taschenmessers war der dicnstciftige
den armen Menschen jämmerlich würgende Strick entzwci, und
der Gehenkte stürzte kollernd auf die Erde, welche ihn ungern
j und darum ziemlich unsanft von den Lüften zurückcmpfing.

Man hatte bald den Geretteten in das nicht sehr weit
j entfernte HauS des MüllerS gebracht, wo er auf Anordnung
! des menschenfteundlichen Mannes auf ein Bett gelegt und ihm
! alle Mittel an die Hand gegeben wurden, sich zu erholen. Das
! geschah denn auch bald genug. Der Gauner sah sich kaum
allein, als der alte Adam wieder in ihm erwachte; er er-
hob sich vorsichtig, blickte spähend umher — und ein Paar
! neue Stiesel, deren er ansichtig wurde, mußten ihm sehr gefallen
: haben; denn er schlüpfte, als gewandter Stegreiftitter, im näch-
■ stcn Augenblicke schon behende hinein. Der Müller, der eben
! bcreintrat, um sich nach dem Findlinge vom Galgen umzuseben,
erstaunte nicht wenig, denselben in seinen eigenen Stiefeln
I z» finden. Er hielt gewaltsam an sich, als aber der Gauner,
! der sich noch immer unbemerkt glaubte, auch nach dem an der

»d einmal Todtgeschlagene.

Wand hängenden SonntagSrock feines Retters langte, dünkte
cs diesem doch zu arg.

„Du Galgenvogel! Willst mich jetzt auch noch bestehlen!"
Sv rufend schlug er ihn im Zorn mit dem Beil, das er in
der Hand hielt, dermaßen an den Kopf, daß der Getroffene
alsbald tobt nicderstürztc.

Der erschrockene Müller sah sich jetzt plötzlich als Mörder
eines Nebenmcnfchcn und starrte in verzweifelnder Bestürzung
auf die blutende Leiche.

Der eben eintrctende, von dem Geräusch herbeigelocktc
Knecht ftagtc, was cs gebe?

„JesuS Maria! Ich habe den Menschen erschlagen! WaS
fange ich an?" rief ihm der Müller entgegen.

„Da ist ftcilich guter Rath theuer!" meinte der Knecht
und kratzte sich verlegen hinter den Ohren. „Das Beste wäre,
wir brächten ihn wieder dahin wo wir ihn holten!"

Gesagt, gethan! — Der Gauner hing binnen einer
Stunde zweimal am Galgen und war in der Zwischenzeit zur
Abwechselung einmal todtgeschlagen worden.

„Der bestiehlt keine» mitleidigen Müller mehr! ES wird
jetzt wohl auS sein mit ihm!" rcflcktirtc der Knecht, als er
den unheimlichen Ort wieder «erließ. Und Todtcnstille herrschte
jetzt um den Galgcnbaum; nur einige hungcrigc Raben kreuz-
ten mit widrigem Krächzen in der Nähe.

Am ander» Morgen kam man, den Leichnam hrrabzu-
nchmcn, um ihn zu verscharren.

„Aber waS ist denn das? der hat ja Stiefeln an!" rief
einer der zu dem Geschäft Beorderten, indem er die Stiesel
de« Müllers bemerkte, welche man dem Leichnam auSzuzichen
vergessen hatte.

„Ja, wahrhaftig!" meinte ein Andrer. „Und waS noch?!
Der Kerl scheint über Nacht Mühlknccht geworden zu sein!
Er ist ja über und über mit Mehl bestaubt!"

„Fürwahr, ein komischer Kauz! Erscheint gar auchRauf-
händcl gehabt zu haben!" ries ein Dritter, auf die Blutspuren
am Kopfe deS Tobten deutend. „Wo mag er nur gesteckt
sein und waS mag er gctricbm haben?!"

„DaS ist seltsam!" sagte mit wichtiger Miene der Erste
wieder. „Höchst seltsam!" ergänzten die beiden Andern.

Wir selbst hätten uns mit den guten Leuten über daS
Alles gewundert und eS nicht begriffen, wenn wir nicht die
Auflösung deS RäthsclS schon kennen würden. Bald jedoch
kannte man den Verlauf deS seltsamen Vorfalls auch in jener
Gegend, denn ein Schuster hatte die Stiefel als diejenige» er-
kannt, welche er dem Müller erst vor Kurzem gefertigt hatte.
Und so wurde Letzterer cingezogen, aber, nachdem er Alles
offen und ehrlich als ein braver Mann erzählt hatte, wieder
frei gelassen — mit der strengen Einschärfung, sich ja nimmer
mit Erhängten einzulaffcn, was er auch gern versprach und
treulich hielt, wie wir hoffen.
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Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Der zweimal Gehängte und einmal Todtgeschlagene"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Künstler/Urheber/Hersteller (GND)
Muttenthaler, Anton
Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Verurteilter
Lebensrettung
Karikatur
Baum <Motiv>
Leiter <Motiv>
Dieb <Motiv>
Satirische Zeitschrift
Thema/Bildinhalt (normiert)
Erhängter <Motiv>

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Public Domain Mark 1.0
Creditline
Fliegende Blätter, 23.1856, Nr. 536, S. 62

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Erschließung

Lizenz
CC0 1.0 Public Domain Dedication
Rechteinhaber
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